3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
von gestern Abend habe ich auch nicht im Kühlschrank vergessen und in eine Plastiktüte (!) gepackt. Mittagessen geht also auch klar.
Während ich meinen Kaffee trinke und Cornflakes frühstücke, sehe ich einer Katze dabei zu, wie sie in dem Mülleimer vor der Herberge nach Essbarem stöbert und mir wird in dem Moment bewusst, wie müde ich eigentlich bin. Seit 22 Tagen laufe ich schon ohne Pause, ich bin durch meine Magen-Darm-Geschichte aus der Meseta immer noch geschwächt und die Nacht in Leon hat auch ihre Spuren hinterlassen. Hab das Gefühl, ich könnte drei Tage am Stück durchschlafen.
Das erste Stück der heutigen Etappe geht dann noch, aber auf dem zweiten Abschnitt geht’s dann wieder extrem langweilige zehn Kilometer nur geradeaus . Und dann passiert es: Ich schlafe tatsächlich kurz beim Laufen ein! Wahrscheinlich würden mich selbst dann meine Füße weitertragen, weil sie sich schon fast verselbständigt haben. Die beiden haben jetzt schon einen Orden verdient!
Highlight des heutigen Tages ist die beeindruckende, uralte römische Brücke von Hospital, die heute nur noch ein Rinnsal überspannt, welches wohl mal ein breiter Fluss gewesen sein muss. Die kleine Stadt und die charmante Pilgerherberge mit dem wahrscheinlich schönsten Innenhof bisher, passen wieder sehr gut zum Jakobsweg.
Obwohl ich mich mit Carmen und Monika verabredet hatte, treffe ich si e weder in dieser noch in der anderen Herberge von Hospital de Orbigo und frage mich warum. Beim Abendessen im Innenhof lerne ich dafür ein paar andere Pilger kennen, darunter Carolina aus Barcelona, und bleibe also auch an diesem Abend nicht alleine. Ich weiß, ehrlich gesagt, schon gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal sowohl tagsüber als auch abends alleine war.
Fazit des Tages: Nicht nur meine Boots are made for walking, sondern erst recht meine Füße! Was sind schon die tollsten Laufschuhe, wenn die Füße nicht mehr wollen?
Montag, 18. August, 98. Tag:
Hospital de Orbigo - El Ganso, 31 km
Der Camino führt mich heute über Astorga bis nach El Ganso. Ich war eigentlich mit Carolina verabredet, aber irgendwie verpassen wir uns. Astorga ist nett und die Kathedrale sehenswerter als der von Gaudi entworfene Bischofspalast, und wie schon in Burgos und Leon gibt es auch hier eine schöne Altstadt, aber die Wege, die in die Städte hinein und wieder heraus führen, sind einfach nur hässlich und stören den Gesamteindruck vom Camino.
Irgendwie finde ich sowieso, dass der Jakobsweg um solche Städte herumführen sollte, weil sie laut, groß, hektisch, touristisch und verkehrsreich sind, was eben nicht zum Jakobsweg passt. Ist eben die Frage, ob es die jeweiligen historischen Stadtkerne wert sind, sich den Stress anzutun.
Ganz anders dagegen Dörfer wie El Ganso oder kurz zuvor Santa Catalina de Somoza, die wie geschaffen für den Camino sind. Sie fügen sich harmonisch in die endlich mal wieder schöne und dafür gleich richtig schöne hügelige Landschaft der Maragateria ein. Landschaft und Dörfer versprühen ’Wild West Charme’ total und in den Dörfern liegt der Hund begraben.
Wenn man mal ein paar alte Männer auf der Straße umherstreifen sieht, könnte man meinen, sie wollten sich um Punkt zwölf duellieren. Die Mutter aller Western, ’Spiel mir das Lied vom Tod!’ hätte auch glatt in einem dieser Dörfer gedreht werden können. Im letzten Dorf vor El Ganso lerne ich den aus der Ukraine stammenden Konstantin und seine spanische Freundin Selba kennen.
Wir verbringen zusammen unsere Pause vor einem Cafe , und Konstantin erzählt mir etwas wirres und abgehobenes Zeug über das Universum, Energie, Quantenphysik und deren Zusammenhänge, ohne dass ich viel davon verstehe. Das Ganze auch noch auf Englisch! Mein Englischvokabular reicht nicht für Diskussionen über solche Themen und, ehrlich gesagt, interessiere ich mich auch nicht wirklich dafür, aber ich möchte nicht unhöflich sein und lass ihn mal ein bisschen erzählen.
Die letzten Kilometer durch den Wilden Westen Spaniens legen wir dann gemeinsam zurück und Konstantin wird mir immer sympathischer, weil er nicht mehr über Quantenphysik redet, sondern auf seiner kleinen Trommel spielt. Selba und ich singen oder summen noch irgendwas dazu und die Atmosphäre vor dieser Wild West-Kulisse ist perfekt! Auf den letzten Kilometern vor El Ganso gesellt sich Eduardo zu uns. Er ist ein aus Burgos
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