4. Die Rinucci Brüder: Lass die Sonne in dein Herz
vorbei. Sie musste jetzt das tun, was sie sich von Anfang an vorgenommen hatte: in die Wirklichkeit zurückkehren.
Unterwegs hatte sie sich einige neue Sachen gekauft, weil sie nicht darauf vorbereitet gewesen war, so lange in Italien zu bleiben. Doch als sie jetzt ihren Koffer auspackte, um etwas Passendes für den Abend zu finden, stellte sie fest, dass alles gebügelt werden musste.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Vielleicht ist Carlo zurückgekommen, schoss es ihr durch den Kopf, während sie den Raum durchquerte.
Doch nicht Carlo stand vor ihr, sondern ein kräftiger junger Mann mit einem gewinnenden Lächeln. „Du!“, rief sie erfreut aus und breitete die Arme aus.
„Hallo!“ Ihr Sohn umarmte sie zur Begrüßung und wirbelte sie im Kreis herum, während er die Tür mit dem Fuß zustieß.
„Was machst du hier?“, fragte sie schließlich.
„Ich wollte dich sehen. Du bist schon länger weg, als du geplant hattest.“
„Ja, jemand hat mich auf neue Ideen gebracht, und ich wollte an Ort und Stelle prüfen, ob sie sich verwirklichen lassen. Das habe ich dir doch schon am Telefon erklärt.“
„Du hast erwähnt, dass du einige Tage länger hierbleiben wolltest. Aber eigentlich hattest du vor, schon gestern nach London zurückzukehren, oder?“
„Wie geht es deinem Vater?“, wechselte sie das Thema.
„Er macht sich lächerlich mit seiner neuesten Freundin. Ich war den beiden im Weg, deshalb bin ich nach Hause gefahren und habe Sally angerufen.“
„Sally?“ Della runzelte die Stirn. „Heißt deine Freundin nicht Gina?“
„Das war Sallys Vorgängerin.“
„Ach so. Ich blicke da nicht mehr durch. Jetzt bist du also mit Sally befreundet.“
„Nein, das ist auch vorbei.“ Er zuckte die Schultern. „Ich dachte, ich könnte einige Tage hier mit dir in Neapel verbringen.“ Er seufzte theatralisch. „Aber du warst nicht da.“
„Tu bloß nicht so, als wärst du auf mich angewiesen“, erwiderte sie und musste sich das Lachen verbeißen.
„Dann wechsle auch bitte nicht das Thema.“ Er blickte sie nachdenklich an. „Heraus damit, was ist los?“
„Ach, du kennst mich zu gut.“ Sie stieß ihn liebevoll in die Seite, um ihre Verlegenheit zu überspielen. „Ich habe einige Tage mit Carlo Rinucci verbracht, um mit ihm über die Dokumentarserie zu sprechen.“
„Normalerweise brauchst du nicht so lange, um dir ein Bild von jemandem zu machen.“
„Das stimmt. Aber der Fall liegt anders. Es ging nicht nur um die Moderation. Carlo ist Archäologe und Historiker mit ausgezeichnetem Ruf und hat mich auf neue Schauplätze für die Serie aufmerksam gemacht.“
„Ich kann es kaum erwarten, ihn kennenzulernen“, antwortete Sol.
Della versuchte, die Ironie zu ignorieren, die in seiner Stimme schwang. „Er holt mich in einer Stunde ab. Wir können zu dritt essen gehen …“
„Ich habe schon etwas anderes vor“, unterbrach ihr Sohn sie.
„Hast du jemanden kennengelernt? Das ging ja schnell.“
„Ich bin ihr im Flieger begegnet. Sie hat Angst vorm Fliegen, deshalb habe ich ihr natürlich …“ „Natürlich“, fiel Della ihm lachend ins Wort. „Ich hatte gerade vor, mir in der Hotelboutique ein neues Kleid zu kaufen. Kommst du mit?“
„Gute Idee“, stimmte er ihr begeistert zu.
Sie kannte ihren Sohn gut genug und ahnte, was kommen würde. Ihre Befürchtungen
bewahrheiteten sich, denn in der Boutique wurde sowohl Damen- als auch Herrenbekleidung angeboten. Ohne zu zögern, fing Sol an, sich etwas auszusuchen.
„Hier, das wäre doch etwas für dich“, erklärte er plötzlich, als er sich daran erinnerte, weshalb sie überhaupt hier waren, und wies auf das hinreißend elegante schwarze Cocktailkleid.
Della warf einen Blick auf das Preisschild und wurde blass. „Nein, ich glaube nicht …“
„Ach, Mom, der Preis sollte keine Rolle spielen. Es ist ein Modell des bekanntesten italienischen Designers, und du wirst wunderschön darin aussehen.“
„Okay, ich probiere es an“, gab sie nach.
Das Kleid saß perfekt, und sie wünschte, Carlo würde sie darin sehen.
„Ich hatte recht“, stellte Sol fest, als sie aus der Umkleidekabine kam.
„Ja, aber …“
„Aber du gibst es nur ungern zu“, unterbrach er sie lächelnd.
Es erstaunte sie immer von Neuem, dass ihr Sohn, der einen so langweiligen, durchschnittlichen Vater hatte, so viel natürlichen Charme besaß. Natürlich hatte er auch Fehler und Schwächen. Er war eigensinnig, zuweilen arrogant, und er glaubte,
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