4 Meister-Psychos
glaubte, man
müßte es über den ganzen Hof hören, und sie preßte die Hand auf den Mund, als
ein grelles Licht hinter demselben Fenster aufblitzte, das sie mit brennenden
Augen beobachtete. Da — das war sein Schatten wieder. Wie vorhin fiel er
verzerrt und überlebensgroß gegen den Vorhang!
Der Mann ging im Zimmer umher,
blieb stehen, wie wenn er unschlüssig wäre, bewegte sich dann wieder. Dann
begann er im Zimmer herumzusuchen, schnell, hastig, nervös, bückte sich,
verschwand für kurze Zeit, war dann plötzlich wieder da. Julia verfolgte atemlos
jede Bewegung. Was tat er? Wahrscheinlich zog er sich an, vielleicht wollte er
fliehen!
Jetzt war er plötzlich nicht
mehr zu sehen. Nur der helle Vorhang leuchtete durch das unheimliche Dunkel,
und die beklemmende Stille hielt an.
Er mußte das Zimmer verlassen
haben.
Jetzt vernahm sie zum erstenmal
schwache Laute, wie abgerissene Stimmfetzen, aber sie konnte die Stimmen nicht
unterscheiden.
Dann, unvermittelt, erschien
der Schatten wieder, aber nun kam noch ein zweiter Schatten hinzu, sie sah es
ganz deutlich, einer gestikulierte mit den Armen, und Julia trat vor Aufregung
aus ihrer Deckung heraus. Einer der beiden Beamten, Steinmann oder der
Kommissar, war mit im Zimmer. Jetzt fiel die Entscheidung.
Dann wich Julia an die
Hausmauer zurück und verkrampfte die Hände ineinander.
Einer der Schatten vollführte
eine blitzschnelle Bewegung, er verschmolz mit dem anderen, dann erscholl ein
Klirren, deutlich vernahm es Julia, und im selben Augenblick erlosch das Licht.
Jetzt schlug eine Tür, kurz und hart, im Treppenhaus wurde es lebendig, ein
Mensch sprang in großen Sätzen die Treppe herunter — er versuchte zu fliehen,
ganz bestimmt...
Aber dann erklang ein
dröhnendes Gepolter, ein lauter Schmerzensschrei. Die Haustür flog nicht auf,
obwohl Julia das mit angstvollem Herzen erwartet hatte, sie blieb geschlossen,
niemand stürmte heraus.
Julia lehnte sich mit bebendem
Körper an die Mauer, Sie hatten ihn, er war nicht entkommen! Da leuchtete das
Licht hinter dem Fenster wieder auf, aber nicht mehr grell und gleichmäßig, es
war die Taschenlampe, sie suchte im Raum herum, wanderte hin und her. Endlose
Minuten vergingen, bis das Licht erlosch und die Haustür sich öffnete.
Steinmann schob einen Mann vor
sich her, dessen Hände die stählerne Klammer der Handschellen zusammenhielt,
einen mageren Mann mit zerwühltem schwarzen Haar und verschmiertem Gesicht.
Hinter ihnen trat der Kommissar aus dem Haus, auch er sah etwas mitgenommen
aus, aber als er näher kam, sah Julia, daß seine Augen strahlten.
Steinmann drängte den Mann an
ihr vorbei. Im Schein der Lampe des Kommissars sah sie ein paar böse, aber
erschöpfte Augen in einem verkniffenen Gesicht. Aber das nahm sie gar nicht
voll in ihr Bewußtsein auf, denn sie hatte nur Augen für die Füße des Mannes,
und als der Kommissar wie in heimlichem Einverständnis den Lichtkegel senkte,
sah sie die sandfarbenen, ausgetretenen Sandalen, und eine tiefe Freude überkam
sie.
Es öffneten sich Fenster, Licht
fiel in den Hof und auf die Straße. Fragende, aufgeregte Stimmen wurden laut,
aber Julia hörte und sah nichts mehr. Sie ging hinter den Männern her und
dachte unaufhörlich: Wir haben ihn, er muß gestehen, Peter wird frei!
Leopold Horvath saß mit
gekrümmtem Rücken auf seinem Stuhl und blickte finster vor sich hin. Der Kommissar
ging um ihn herum und betrachtete ihn prüfend von allen Seiten.
»Es sieht nicht gerade günstig
für Sie aus, mein Lieber«, begann er. »Und wenn Sie die Wahrheit nicht
auspacken, wird es bald noch viel ungünstiger aussehen.«
»Sie können mir erzählen, was
Sie wollen«, versetzte der andere in mürrischem Ton. »Ich habe nichts
verbrochen. Sie können mir nichts beweisen. Und Sie können mich auch nicht hier
festhalten. Ich habe nichts getan.«
»Mein lieber Horvath«, sagte
Nogees sanft und geduldig, »ich fürchte, es wird doch einiges zusammenkommen.
Sie sind viermal vorbestraft, einmal wegen Einbruchdiebstahls, einmal wegen
Hehlerei, zweimal wegen Taschendiebstahls. Hat sich allerhand
zusammengeläppert, ein Wunder, daß Sie überhaupt noch frei herumlaufen. Gestern
abend haben Sie einen Fluchtversuch unternommen. Für ein engelreines Gewissen
spricht das nicht gerade.«
»Ich war nervös — habe eben den
Kopf verloren. Mitten in der Nacht holen Sie einen aus dem Bett...«
»Ja. Sicher hatten Sie gerade
von Englein geträumt und im Schlaf die
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