4 Meister-Psychos
nicht mit heruntergeworfen hatte.
Eine geheime Tür! Schon vorhin
hatte er daran gedacht. Wenn es eine gab und jemand in das Zimmer eingedrungen
war — schon der Schreck konnte sie getötet haben!
Als Augen blieben an dem Kamin gegenüber
dem Bett hängen. Eine dunkle, rußige Öffnung. Darüber ein hoher Spiegel, in dem
Al das Bett und die tote Lady Cynthia sah.
Der Kamin, das war eine
Möglichkeit.
Je länger Al daran dachte, um
so deutlicher erschien vor seinem Bewußtsein das weiße, drohende Gesicht eines
Menschen in dem steinernen Viereck...
Hatch kam mit dem Doktor.
Summerville sah aus wie König Gustaf von Schweden. Sein Gesicht war hager und
faltig wie sein Anzug. Er grüßte kurz und trat an das Bett.
Die Perlen des Stethoskops verschwanden
in seinen gewaltigen Ohrmuscheln. Endlos horchte er an der reglosen Brust von
Lady Cynthia Hollingway und blickte dabei aus dem Fenster in den heiteren Park.
June sah ihm mit tränengefüllten Augen zu.
Der Kamin, dachte Al wieder.
Die einzigen Ausgänge waren der zum Bad und der zum Flur. Die Tapete ringsum
sah nicht nach versteckten Türen aus. Außerdem würde sich das feststellen
lassen — wenn er noch dazu kam.
Summerville nahm das Stethoskop
heraus und räusperte sich. Sein langes Gesicht sah ungeheuer traurig aus.
»Nichts mehr. Mein Beileid, Sir
Aubrey. Auch für Sie, Miß June. Tut mir leid. Tut mir wirklich leid.«
»Was glauben Sie, Doktor?«
»Muß das Herz gewesen sein. War
ja schon immer nicht taktfest. Ja. Sie ist schon einige Stunden tot.«
Er nahm die kleine Flasche vom
Nachttisch, zog den Korken heraus und schnupperte.
»Hm. Ist das Mittel, das ich
ihr aufgeschrieben hatte. Strophantin und Baldrian.«
Bradford hob den Kopf. »Wäre es
möglich, daß sie zuviel davon genommen hat?«
»Möglich wäre es«, sagte
Summerville ruhig. »Aber diese Flasche ist noch dreiviertelvoll — habe sie erst
vor ein paar Tagen ausgeschrieben. War auch keine starke Dosis.«
Er rollte die Gummischläuche
zusammen. »Plötzlicher Herztod. Kommt immer wieder mal vor. Wirklich sehr
traurig.«
»Doktor«, sagte Al leise, aber
verständlich, »was sagen Sie zu ihrem Gesicht? Sieht doch aus, als wäre sie
erschrocken — über irgend etwas wahnsinnig erschrocken!«
Summerville musterte ihn kühl,
ehe er antwortete.
»So sieht es aus, junger Mann.
Aber es ist nichts Außergewöhnliches. Die Herzlähmung bringt das Gefühl der
Todesangst mit sich. Die Leute ringen nach Luft und bäumen sich auf. Kein
Wunder, wenn sie ein entsetztes Gesicht machen. Zufrieden?«
»Noch eine Frage, Doktor.
Nehmen wir an, sie wäre tatsächlich erschrocken — war ihr Zustand so, daß es
ihren Tod bedeuten konnte?«
»Ich sagte Ihnen doch schon...«
»Ja, Sie sagten es. War ihr
Zustand so, daß ein Schock sie töten konnte?«
Bradford schob das Kinn vor.
»Was soll die Fragerei, Maycock? Finde nicht, daß jetzt der richtige Moment
dazu ist!«
Al schwieg. Der Arzt drehte ihm
den Rücken zu.
»Vielleicht beantworten Sie mir die Frage, Doktor Summerville«, sagte June laut und energisch.
Al freute sich über die
verblüfften Gesichter der beiden Männer. »Aber Miß June, warum...?«
»Weil ich es wissen will!«
Summerville bewegte mehrmals
den Unterkiefer, ehe er weitersprach.
»Ja — so genau kann man das
nicht sagen — Herzfehler sind heimtückisch — natürlich, ein plötzlicher Schreck
— wäre schon möglich, daß die Aufregung sie tötete...«
Er fuhr herum.
Bradford sprang von seinem
Stuhl auf. June wich einen Schritt zurück, und Al fühlte, wie eine kalte Welle
ihn überlief.
Mit einem schabenden Geräusch
war Lady Cynthias linker Arm über die Bettdecke gerutscht und schwer
heruntergefallen.
Ein paar Sekunden lang bewegte
sich niemand. Wie ein körperliches Gebilde stieg der Gedanke zwischen ihnen
auf, daß die Tote mit ihrer Bewegung die Worte des Doktors bestätigen wollte.
Summerville faßte sich zuerst.
Mit vorsichtigem Griff faßte er den Arm, legte die Hände der Toten über ihre
Brust und faltete sie ineinander. Dann drückte er die Lider über die glanzlosen
Augen und zog die Bettdecke über das stille Gesicht.
»Gehen wir! Ich schreibe den
Totenschein gleich aus, Sir Aubrey.«
Bradford wandte sich ab und
ging hinaus. Der Doktor nahm seine Tasche und folgte ihm.
Al kniete nieder und hob das
Telefon auf. Im Aufrichten begegnete er Junes Augen. Sie waren klar, und ein
entschlossener Ausdruck lag darin.
»Mr. Maycock — an was
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