46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
ein!“
„Aber, mein Gott, wahr kann es doch nicht sein!“
„Warum nicht?“
Da faßte sie dieses Mal seine beiden Hände, hielt sie fest und sagte:
„Höre, ich fordere dich auf, mir bei der heiligen Madonna zuzuschwören, daß du auf alle Fragen, die ich dir jetzt vorlegen werde, die Wahrheit antworten willst.“
„Gut, ich schwöre es!“
„Nun, so sage mir, war Graf Ferdinande wirklich in Fort Guadeloupe?“
„Ja.“
„Es ist wirklich wahr, gewißlich wahr?“
„Bei Gott und allen Heiligen, es ist wahr!“
Da stieß die alte, treue Seele trotz ihrer gegenwärtigen, unglücklichen Lage einen Schrei aus, der fast dem Jauchzer eines Sennhirten glich.
„Er ist da! Er ist nicht tot!“ rief sie. „Und wer war noch dort?“
„Señor Mariano – – –“
„Der echte Graf Alfonzo de Rodriganda!“ fügte sie hinzu.
„Señorita Emma – – –“
„Die verloren geglaubte Tochter unseres guten Herrn. O, hätte er doch seine Besinnung, um es zu vernehmen. Weiter, weiter! Wer war noch da?“
„Die Señores Helmers – – –“
„Der Bräutigam von Señorita Emma und sein Bruder.“
„‚Büffelstirn‘ und ‚Bärenherz‘ – – –“
„Welche mich aus Mexiko nach der Hacienda retteten.“
„Señorita Karja – – –“
„Die Schwester Büffelstirns.“
„Und natürlich Sternau, der ‚Fürst des Felsens‘.“
„Du hast sie gesehen?“
„Ja.“
„Alle?“
„Alle zusammen.“
Die alte Marie schwieg; sie hätte gern gesprochen, ja, laut geschrien und gejubelt, aber sie brachte dies nicht fertig. Sie saß sprachlos da und weinte leise vor sich hin. Was sie gehört hatte, war zu groß für sie, stürmte zu mächtig auf sie ein. Sie fühlte sich förmlich erdrückt unter der Masse des Glücks, vor welcher der Gedanke an ihre gegenwärtige Lage zurücktreten mußte.
Und nun, während sie so weinte, begann der Vaquero zu erzählen. Er sprach in halblautem Ton, und Marie lauschte jedem seiner Worte. Sie wagte nicht, ihn zu unterbrechen, und nur zuletzt, als er seine Heimkehr beschrieb, und daß er an das Tor der Hacienda geklopft habe, rief sie:
„Um Gottes willen, der Cortejo ist ja da!“
„Leider ja, aber das wußte ich ja nicht.“
„Man hat dich eingelassen?“
„Ja. Ich stieg ab und ging nach der Vaquerostube. Dort nahm man mich gefangen.“
„Und was dann?“
„Man band mich und führte mich zu einer Señorita, die mich verhören sollte.“
„Das war Josefa Cortejo.“
„Ich wußte es nicht.“
„Du kanntest sie also nicht?“
„Nein, ich hatte sie noch nie gesehen.“
„Was fragte sie dich?“
„Sie gab sich für eine Freundin von Señor Arbellez aus. Sie sagte, er sei entkommen und habe ihr aufgetragen, meine Botschaft entgegenzunehmen.“
„Gott im Himmel! Du hast ihr doch nichts erzählt?“
„O, alles!“
„Alles?“ schrie Marie.
„Leider!“
„So sind sie verloren, alle, alle!“
„Ja, das sagte sie mir dann auch“, erklärte der Vaquero kleinmütig.
„So hat sie sich dir dann doch zu erkennen gegeben?“
„Ja. Dabei sagte sie mir, daß sie alle diese Señores nebst den Señoritas umbringen lassen werde.“
„Das wird sie tun. O Gott, wie sind sie zu retten? Wäre ich doch nicht gefangen!“
„Wir müssen versuchen, freizukommen“, erklärte der Alte.
„Aber wie?“
„O, ich habe ein Messer. Ich grabe mir mit ihm ein Loch.“
„Durch diese dicke Mauer?“
„Oder ich steche unsere Wächter nieder.“
„Und wirst dann von den anderen festgenommen, um doppelt gemartert zu werden.“
Da erklang wie der Ton eines unsichtbaren Geistes eine leise Stimme neben ihnen:
„Sorgt euch nicht. Ich sehe euch frei. Die Guten siegen, sie haben dann noch eine schwere Prüfung, aber der Vater im Himmel führt sie zum Ziel.“
Der verwundete Haziendero hatte diese Worte gesprochen.
„Señor Pedro!“ sagte Marie.
Er antwortete nicht.
„Señor Arbellez.“
Auch jetzt schwieg er.
Das Licht war niedergebrannt, darum konnten sie den Kranken nicht sehen.
„Hat er im Wachen gesprochen?“ fragte sie leise.
„Dann wäre er ja sofort wieder eingeschlafen“, meinte der Vaquero.
„So hat er im Traum geredet.“
„Und der Traum hat ihm die Zukunft gezeigt.“
„Oder ist es noch anders“, sagte Marie zagend.
„Wie anders?“
„Hast du nicht schon einmal gehört, daß sich vor dem Auge mancher Sterbenden die Zukunft öffnet? Sie sagen dann Dinge vorher, welche anderen verborgen
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