53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten
Sein Gesicht war kreideweiß geworden, und er zitterte am ganzen Körper.
„Nun, was ist denn los?“
Der Leutnant stammelte etwas Unverständliches, als ob der Schreck ihm die Sprache geraubt habe.
„Deutlicher, deutlicher!“ rief Sam.
„De – de – der Teu-teu-teufel!“ brüllte jetzt der Gefragte.
Sam tat, als ob er ein solches Ereignis gar nicht für unmöglich halte.
„Ist's wahr?“ fragte er.
„Ja, ja, ja! Da, da, da oben!“
Dabei deutete der tapfere Offizier mit zitternder Hand hinauf nach der offenstehenden Tür. Sofort drängte sich die Menge näher, um alles deutlich zu hören.
„Irren Sie sich nicht?“ fragte der Dicke.
„Nein, nein! Ich sah es ganz deutlich. Es ist der Teufel, das Väterchen, mit dem Mütterchen, seiner Großmutter!“
„O Himmel! Es sind zwei!“
„Ja, er und sie.“
„Der Teufel, das Väterchen, und das Mütterchen, seine Großmutter!“ ertönte es im Halbkreise der neugierigen Zuschauer, und sofort zogen sie sich weit zurück.
„Fast möchte ich es nicht glauben“, meinte Sam und kletterte empor. Der Anblick, der sich ihm bot, war allerdings ein derartiger, daß auch ein anderer, als ein ungebildeter und abergläubischer Kosak, sich über denselben hätte entsetzen können. Zu seiner Beruhigung bemerkte Sam jedoch, daß die beiden Gefangenen sich bewegten. Sie machten krampfhafte Anstrengungen, von den Stricken loszukommen, hatten also an Leib und Leben keinen Schaden genommen.
Der Dicke tat natürlich auch, als ob er außerordentlich erschrocken sei, stieß einen lauten Schrei aus und sprang von der Leiter herab.
Auch Tim und Jim stiegen nacheinander hinauf und kamen mit allen Anzeichen eines heftigen Schrecks wieder herunter.
„Ihre Freunde sind ebenso mutig wie Sie und ich“, meinte jetzt mit einer gewissen Befriedigung der Kosak. „Was sagen sie dazu?“
„Sie sind ebenfalls der Ansicht, daß es der Teufel mit seiner Großmutter ist.“
„So lasse ich sofort den Popen kommen. Der ist der Geistliche und wird schon wissen, wie man dem Teufel einen Schreck einjagt.“
Dieser Vorschlag wurde angenommen und auch sofort ausgeführt. Ein Kosakenunteroffizier mußte eiligst den Popen aufsuchen und ihm mitteilen, was geschehen war. Schon nach kurzer Zeit kehrte er zurück und meldete, daß der geistliche Herr sofort erscheinen werde.
Die Anwesenden erwarteten den Genannten mit ungeheurer Spannung. Sie waren wirklich davon überzeugt, daß es sich um den bösen Geist der Hölle handle, daß der leibhaftige Satanas sich mit seiner ebenso leibhaftigen Großmutter im Feuerwerksgebäude befinde.
Diese Kunde wurde mit ungeheurer Schnelligkeit weitergetragen. Sie verbreitete sich rasch auch draußen auf dem Jahrmarktsplatz, und so kam es, daß Russen, Kosaken, Ostjaken, Wogulen, Samojeden, Tungusen, Sojoten, Kalmüken, und wie die Völkerschaften, zu denen diese Leute gehörten, alle heißen mögen, in höchster Aufregung nach dem Platz vor dem Feuerwerksgebäude strömten, um bei der Teufelsbannung zugegen zu sein.
Es kam eine solche Menge Volkes zusammen, daß diese Leute Brust an Rücken gedrängt eng zusammen standen und kein Apfel hätte zur Erde fallen können. Alle waren von einer heillosen Furcht erfüllt und teilten sich erregt ihre verschiedenen Ansichten mit, was der Teufel wohl tun werde. Höchstwahrscheinlich fuhr er in einen von ihnen. Auch stand mit Gewißheit zu erwarten, daß seine Großmutter in einer der anwesenden alten Frauen ihren Wohnsitz aufschlagen werde. Jeder aber dachte, daß er der betreffende nicht sein werde, und so wurde die Ankunft des Popen zwar mit scheuer Spannung, aber doch in frommer Ruhe erwartet.
Der geistliche Herr hatte es für notwendig gehalten, zu dem schwierigen Werk gewisse ebenso notwendige wie umfassende Vorbereitungen zu treffen. Er selbst hatte zwar während seiner ganzen langjährigen Amtstätigkeit den Teufel noch nicht ein einziges Mal gesehen, aber in alten, vergilbten Büchern und Handschriften war er Anweisungen über das Austreiben und Bannen des Satans begegnet. Jetzt schlug er nach und fand, was er suchte, eine kurze Anweisung, wie der Teufel zu zähmen sei.
Er las diesen Aufsatz einige Male durch, steckte dann das Buch in die Tasche seines geistlichen Gewandes, griff zu Bibel und Kruzifix und machte sich auf den Weg.
Gar sehr wohl zumute war ihm freilich nicht. Wer kann sich auf den Teufel verlassen, zumal, wenn derselbe seine Großmutter bei sich hat, von der in dem Buch gar nichts
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