7 Werwolfstories
erwarten Sie den Professor zurück?« erkundigte sich Sergej.
»Vielleicht heute nacht, oder morgen«, sagte sie. »Ich werde ihn sofort verständigen. Wollen Sie trotzdem warten?«
»O ja. Auf jeden Fall – das heißt, wenn es keine Umstände bereitet.«
»Nein, nein. Machen Sie es sich nur gemütlich.«
Sie nickte ihm zu und ließ ihn allein.
Sergej ließ sich aufatmend in einen der beiden antiken Polstersessel fallen. Er war müde – die beschwerliche Flucht von Lyon bis hierher hatte ihre Spuren hinterlassen. Er mußte gegen die Müdigkeit etwas tun, sonst schlief er hier noch glatt ein. Sein Blick fiel auf ein Buch, das auf dem Tisch lag. Der Titel war in französischer Sprache auf den Rücken geprägt und deshalb nichtssagend für ihn. Aber er vermutete, daß Professor Guillard auch Bücher in anderen Sprachen besitzen würde. Vielleicht konnte er sich mit der Lektüre eines Buches wachhalten.
Als er die Titel in den Regalen überflog, es handelte sich meist um psychoanalytische und psychologische Fachwerke, stieß er auch auf ein Fach, in dem sich nur Werke über Lykanthropie befanden.
Sergej entnahm dem Fach zwei Bücher, die in englischer Sprache verfaßt waren. Das eine betitelte sich ›Die Werwölfe vom Altertum bis heute‹, das andere war ein handgeschriebenes Manuskript in Leder gebunden; nur der Name des Verfassers, James Hubbard, stand auf dem Einband.
Er setzte sich mit seiner Lektüre wieder an den Tisch.
Das Buch über die Werwölfe vom Altertum bis in die Gegenwart enthielt wohl einige Neuigkeiten für Sergej, aber es erschien ihm dennoch als nicht besonders lesenswert. Es zeigte ihm nur, daß alle Völker aus allen Epochen der Erde bereits Kontakt zu Menschen gehabt hatten, die sich in Wölfe verwandeln konnten.
Schon bei den alten Skythen und bei der sarmatischen Völkerschaft der Neurer fanden sich Hinweise auf Menschen, die zeitweise Wolfsgestalt annahmen. Griechische Ärzte berichteten über eine Krankheit, bei welcher der davon Befallene des Nachts umherlief und wie ein Wolf heulte. Die Römer kannten die Werwölfe unter der Bezeichnung versipelles; nach germanischen Begriffen, die auch in der Vöhungasaga zum Ausdruck kamen, wurde durch Überwerfen eines tilf-hamr die Verwandlung in die Wolfsgestalt bewirkt; im dänischen Volksglauben nahm der Werwolf ebenfalls seine feste Stelle ein.
Der Autor des Buches wies auch darauf hin, daß im südöstlichen Asien und in Afrika jetzt noch die allgemeine Vorstellung herrschte, Menschen könnten sich in Tiger, Löwen, Leoparden und Hyänen verwandeln; ebenfalls finde man noch in verschiedenen Gegenden Südrußlands, in der Walachei und verschiedenen slawischen Ländern den Glauben an Werwölfe, eng verknüpft mit dem Glauben an Vampire.
In der Zusammenfassung kam der Autor schließlich zu dem Schluß, daß all diese Erscheinungen wohl nur der Phantasie und jeweiligen Mentalität der verschiedenen Völker entsprungen seien. Der Glaube sei ganz bestimmt nicht auf die tatsächliche Existenz von Werwölfen zurückzuführen. Selbst wenn die neueren Forschungsergebnisse noch so sehr diese Vermutung zu unterstützen schienen, müsse man sie strikt von sich weisen. Wenn es Werwölfe tatsächlich gegeben hätte – warum sprachen die Asiaten und Afrikaner dann von Menschen in Tiger- oder Leopardengestalt?
Als Schlußsatz stand dort: »Ich schätze meinen Freund James Hubbard sehr, aber ich kann nicht umhin, sein Lebenswerk, mit dem er die Existenz von Werwölfen beweisen will, durch wissenschaftliche Fakten zum Einsturz zu bringen.«
Sergej sah erst jetzt auf der Umschlagseite nach dem Verfasser des Buches. Dort stand der Name Jean-Louis Guillard.
Er
Weitere Kostenlose Bücher