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999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

Titel: 999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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Blicke der Leute genoss, die respektvoll zur Seite traten. Es war kein Stolz, sondern ein Gefühl des Friedens und der ruhigen Glückseligkeit. Seitdem er sein Elternhaus verlassen hatte, mit gerade einmal 15 Jahren, um sich einer Fechtschule anzuschließen, hatte er nicht mehr solche Gefühle verspürt, und nun genoss er jeden einzelnen Augenblick.
    Auf der Via San Gregorio, nahe am Nymphenpark von Kaiser Nero, tauchten die ersten Ladengeschäfte auf. Bei Tag wurde dort flaniert, nachts vergewaltigt und gemordet. Allmorgendlich mussten die Wachen Kadaver und Schwerverletzte wegräumen. Leonora verweilte immer wieder vor Auslagen, bewunderte hier ein Stück Seide und dort einen Brokat oder eine Stickereiarbeit. In anderen Geschäften begutachtete sie die Machart einer Vase oder eines Vorhangs, mit der sie die Einrichtung ihrer Unterkunft verschönern wollte. Aber jedes Mal, wenn Ferruccio sie fragte, ob sie den Wunsch habe, lehnte sie ab und ging zum nächsten Stand. An der Kreuzung von Via dei Cerchi und San Teodosio, wo man den Geruch des Tibers schon riechen konnte, blieb Leonora vor einer Backstube stehen. An dem vorgelagerten Stand auf der Gasse pries der Bäckergeselle die Güte des Zuckergebäcks an, das er in einer Pfanne ausbuk. Leonora wurde neugierig und zog Ferruccio mit sich. Nachdem der Geselle weißes Mehl mit Eiern und Safran vermischt hatte, buk er den Teig in heißem Schmalz aus. Dann legte er das Gebäck auf einen Teller, bestreute es mit Zucker und garnierte es zum Schluss mit einem Löffel Honig.
    »Möchtest du?«, fragte Ferruccio.
    »Nur, wenn Ihr auch etwas nehmt.«
    Sie saßen am Tiberufer, genau vor der Isola Tiberina. Ferruccio war mit Zucker bestäubt, der auf seinem schwarzen Wams besonders gut zu sehen war. Leonora hatte mit Honig verklebte Hände und drohte, ihn zu berühren. Beide hätten nicht sagen können, wann sie das letzte Mal so viel Spaß gehabt hatten. Ihr Gelächter wurde durch den penetranten Ton einer Glocke unterbrochen, die ganz in ihrer Nähe erklang. Schon liefen die ersten Neugierigen an ihnen vorbei.
    »Schauen wir, was geschieht.«
    »Glockenspieler und Totengräber sind immer diejenigen, die schlechte Nachrichten überbringen.«
    »Seid still, Ferruccio, ich bitte Euch. Vielleicht ist es ja auch ein Fest, von dem er kündet. Kommt, begleitet mich. Was es auch immer sein mag, mit Euch an meiner Seite kann mir nichts geschehen.«
    Ferruccio wischte sich den Zucker ab, der sogar auf seinen Schuhen gelandet war, und brummte etwas vor sich hin. Leonora nahm ihn am Arm, so wie man es mit dem Bruder der Braut tat, und sie ließen sich von der Menge treiben, die immer schneller wurde. Vor der Kirche Misericordia versperrten ihnen die Menschen die Sicht – aber beim Anblick Ferruccios traten alle zur Seite.
    Und dann sahen sie, wen die Menge angestarrt hatte: angekettete, in Lumpen gehüllte, barbusige Frauen. Leonora hielt sich die Hand vor den Mund, als sie eine von ihnen erkannte. Sie hatte ein grün und blau geschlagenes Gesicht, und ein Auge war komplett zugeschwollen. Leonora klammerte sich an Ferruccios Arm, der sich ihr sofort zuwandte.
    »Gehen wir, mir gefällt nicht, was deine Augen erblicken könnten.«
    »Ich … kenne eine dieser Frauen.«
    »Du kennst sie?«
    »Ja, früher … wir haben einmal das Zimmer geteilt.«
    »Komm, gehen wir, es könnte gefährlich werden. Wenn sie dich wiedererkennt …«
    »Ferruccio: Schaut mich an. Wie könnte sie? Nein, ich will nicht gehen. Ich muss wissen, was sie ihnen antun wollen!«
    Ferruccio antwortete nicht, aber Leonora hatte Recht: Es war unmöglich, in der jungen Edelfrau, die er an seiner Seite hatte, das Mädchen zu erkennen, das sie einmal gewesen war, und das Gewerbe, in dem sie einst gearbeitet hatte.
    Einige Mönche mit Kapuze bedeuteten der Menge zu verstummen und führten die Frauen in die Kirche. Das Tor öffnete sich, und sie traten, von dem schweigenden Mob begleitet, ein. In der Mitte des Kirchenschiffs wurde der große Kirchenlüster herabgelassen und an seiner Stelle ein Sack aufgehängt.
    »Gehen wir, Leonora, ich bitte dich!«, bat Ferruccio eindringlich. Obwohl er Handschuhe trug, spürte er, wie sie sich mit ihren Fingernägeln an ihm festkrallte. Ihr Blick starrte gebannt auf das Geschehen vor ihnen. Leonoras Gesicht war schneeweiß geworden. Die Nacktheit der misshandelten Frauen wirkte an diesem geweihten Ort umso obszöner, und die geschwollenen Gesichter sahen noch schrecklicher aus. Es

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