Abgründe (German Edition)
Holz bei jeder Bewegung, die er oder Haley tat, unter ihrem Gewicht ächzen.
»Ich wollte einfach nur, dass du wie ein normaler Jugendlicher leben kannst, Haley. Dass du die Vergangenheit hinter dir lassen kannst.«
»Unsinn!« Wieder überschlug sich Haleys Stimme. »Du wolltest nur deine Ruhe ! Gleich als ich mit der Schule fertig war, wolltest du mich loswerden. Ans verfluchte Kenyon College. Ist es dir nie komisch vorgekommen, dass ausgerechnet dort jemand getötet worden ist?« Haleys Lippen verzogen sich zu einem bitteren Grinsen. »Ich hab' ihn mit einem Tennisschläger erschlagen, Dad. Gleich danach hab' ich mich im Tenniskurs eingeschrieben.«
Er schien beeindruckt von seiner eigenen Kaltblütigkeit. In Ethan wuchs mit jedem Geständnis ein schrecklicher Verdacht.
»Wie viele sind es noch, Haley? Wie viele Menschenleben hast du auf dem Gewissen?«
Haley lachte. »Ich weiß, worauf du hinaus willst.« Er zeigte auf Ethan. »Deine kleine, süße Madison .« Er spie ihren Namen förmlich aus.
Ethan zwang sich, durchzuatmen und fuhr sich mit der freien Hand durchs Gesicht, weil ihm schon wieder Tränen in die Augen stiegen. Madison hatte Angst um ihr Leben gehabt. Natürlich hatte sie sich nicht selbst umgebracht. Haley war es gewesen. Er hatte sechs unschuldige Frauen, einen seiner Mitschüler, seine eigene Mutter und Madison getötet, die für Ethan wie eine Tochter gewesen war. Mit ihr hatte er über ihre Probleme gesprochen. Ein tiefes Gefühl der Schuld machte sich in ihm breit. Was war er seinem Sohn nur für ein Vater gewesen, dass dieser ein solches Monster hatte werden können?
»Wie viele waren es, Haley? Wen hast du noch auf dem Gewissen?«
»Das hier ist kein Verhör, Detective !«
Haley hatte Recht, aber Ethan war trotzdem noch ein Cop mit einem gewissen Maß an Spürsinn. »Wilbur Birch. Als du angeblich bei Abby warst, bist du hierher gefahren, um ihn zu töten. Damit du die volle Aufmerksamkeit hast und nicht ein falscher Verdächtiger.«
»Detective Hayes hat den Bösewicht durchschaut. Ich würde ja Beifall klatschen, wenn ich nicht damit beschäftigt wäre, deine Schlampe zu quälen!«
»Hör auf damit. So kaltblütig bist du doch nicht.«
Wieder lachte Haley und Evangeline zuckte unter seiner Bewegung zusammen. Ethan befürchtete, sie würde bald die Fassung verlieren. Gott allein wusste, wozu es Haley treiben würde, wenn sie hysterisch wurde.
»Du hättest mit mir sprechen können. Du hättest mir sagen können, dass du dir mehr Aufmerksamkeit wünschst. Das wäre okay gewesen, Haley.«
» Fick dich ! Du willst doch nur dein schlechtes Gewissen beruhigen! Du willst doch nur die ganze Schuld auf mich abschieben, weil ich nicht um mehr Aufmerksamkeit gebettelt habe – aber so läuft das nicht! Du bist mein Vater. Du hättest mir helfen können! Aber du wolltest nicht, du warst ja zu beschäftigt. Du trägst mindestens genau so viel Schuld am Tod dieser Leute wie ich!«
Ethan wusste, dass er die Schuld, von der Haley sprach, nicht von sich weisen konnte. Er hatte mitgeholfen, dieses Monster zu schaffen.
»Was ist, willst du deiner Süßen noch was sagen, bevor ich sie erledige??«
Ethan sah auf und schüttelte hastig den Kopf. Haley hatte Evangelines Kinn gepackt und das Messer fest gegen ihren schlanken Hals gedrückt. Ihre Augen waren jetzt vor Schreck weit aufgerissen.
»Haley, nein! Tu das nicht!«
Evangelines Herz klopfte ihr bis zum Hals. Die Wunden, die der Verrückte, dem sie vor einer Woche noch das Abendessen gekocht hatte, ihr zugefügt hatte, schmerzten.
Er hatte sie nicht nur angefahren, sondern ihr auch überall am Oberkörper die Haut zerschnitten, hatte eine Kneifzange und – mit dem Argument, dass sie Köchin war – einen Fleischhammer benutzt, um irgendein dunkles Geheimnis aus ihr heraus zu kriegen, das sie nicht hatte. Als sie ihm nach über einer Stunde noch immer nichts Furchtbares über sich hatte verraten können, war er total durchgedreht. Er hatte gedroht sie einfach in der Mitte durchzusägen, um ihre schlechten Eigenschaften in ihr sehen zu können . Sie hatte schreckliche Angst vor ihm; konnte nicht glauben, dass das derselbe Haley war, den sie als mustergültigen, gelassenen Tennisfan kennengelernt hatte.
Sie sah Ethan an, dass er noch viel fassungsloser war als sie. Noch nie hatte er so sehr am Boden zerstört auf sie gewirkt. In dem Moment, als Haley erneut drohte, sie zu töten, schien jedoch ein Ruck durch Ethans Körper zu gehen.
Weitere Kostenlose Bücher