Abgründe (German Edition)
waren identisch. In der Hütte wurde außerdem das gleiche aggressive Mittel gefunden, mit dem der Täter die Leichenfundorte reinigt. Es ist derselbe. Kein Nachahmer.«
»Ich vermute, dass Claire fliehen wollte. Der Täter hat sie erwischt und erdrosselt. Versehentlich erdrosselt. Da sie gestorben ist, bevor er sie foltern konnte, bis sie ihm ihr Geheimnis verrät, fehlte ihm das, was seine Werke ausmacht.«
Dewey sah auf. »Soll ich aufschreiben, dass der Mörder ratlos ist?«
Gladys schaute fragend in die Runde. »Ich weiß nicht, ob ratlos das richtige Wort ist. Irgendetwas hat ihn überrascht oder abgelenkt, deshalb hat er Claire Travis dort zurück gelassen – nicht weil er ratlos war. Vermutlich eher, weil Birch Vorrang hatte. Ich denke, dass er vorhatte, zurück zu kommen. Dass er versucht hätte, ihr Geheimnis auf andere Weise herauszukriegen und dass er dann das übliche Prozedere an ihr vollzogen hätte.«
»Wir sind ihm zuvorgekommen.« Obwohl Ethan versuchte, zu verdrängen, dass er sowohl Claire als auch Delilah näher kannte, fiel es ihm schwer, über ihre Fälle zu sprechen. Die beiden als Puzzlestücke in einer Mordserie anzusehen, erschien ihm auf einmal absurd.
»Gut, gehen wir davon aus, dass es so ist. Er tötet sonst nur Frauen, wieso dann jetzt Birch?«, fragte Mason.
Für einen kurzen Moment blitzte es triumphierend in Gladys’ Augen auf. »Er hat panische Angst davor, nicht im Mittelpunkt zu stehen. Die Tatsache, dass wir Linney und Birch verdächtigt haben, scheint ihn rasend gemacht zu haben. Er will die Bewunderung und die Anerkennung für seine Werke für sich allein. Er hat Birch rein zweckmäßig aus dem Weg geräumt.«
»Warum hat er ihn nicht zur Schau gestellt?« Seit Ethan von Birchs Tod gehört hatte, fragte er sich immer und immer wieder, warum Madison nicht noch ein paar Tage länger hatte stark sein können. Sie war immer so tapfer gewesen und jetzt, wo keine Bedrohung mehr von Birch ausging, hätte sie ihr Leben sicher in den Griff bekommen.
»Weil er kein Interesse an Männern hat.«
Dewey notierte die wichtigsten Stichworte, dann war er selbst an der Reihe.
»Ich habe den Kreis der Verdächtigen eingegrenzt. Ich habe die Forensiker, die anderen Cops aus Detroit und unsere Leute überprüft. Für mindestens zwei der Tattage hat fast jeder ein Alibi.« Dewey kramte einen handschriftlichen Zettel aus der Tasche, auf dem er offenbar die Namen der Verdächtigen notiert hatte. »Nur fünf von ihnen haben kein Alibi. Beurteilt selber, ob sie für euch als Täter infrage kommen. Richard Keyton, vierunddreißig, IT-Forensiker, nicht verheiratet, keine Kinder.«
Gladys schaute nachdenklich.
»Cynthia Blythe, zweiundvierzig, Detective aus Detroit und-«
»Keine Frau«, unterbrach ihn Gladys.
Dewey zuckte die Achseln. »Dann habe ich niemanden mehr.«
»Alle anderen Männer haben Alibis?« Donovan klang ungläubig.
»Tatsächlich.« Dewey nickte.
»Halt die Namen unter Verschluss, Dewey«, sagte Donovan. »Wir wollen der Bestie ja nicht den Nächsten ans Messer liefern. Wo wir gerade bei Thema sind: Wir sollten uns so langsam ernsthaft darum kümmern, den zu finden, der andauernd die Presse informiert.«
Beim Gedanken an die Reporter spürte Ethan Wut in sich aufsteigen. Heute Morgen hatte groß und breit auf der Titelseite aller Zeitungen gestanden, dass Delilah Linney ermordet worden war. Es musste einen Informanten unter ihnen geben und Ethan schwor sich, dass er diesen Mistkerl einen Kopf kürzer machen würde, wenn er ihn erst erwischt hatte. Irgendwer war so geldgierig, dass er das Leben anderer dafür aufs Spiel setzte. Jeder wusste, wie viel Schaden das mit sich brachte. Erstens war schlechte Presse für die Polizei absolutes Gift und ließ die Bevölkerung an der allgemeinen Sicherheit zweifeln, zweitens freute sich der Killer über jede Schlagzeile, die ihn betraf und drittens wurde durch den Tod von Linney deutlich gezeigt, was passierte, wenn die Presse vorschnell falsche Informationen veröffentlichte. Sie durften und konnten einfach keine Ratte in ihrem Kreis dulden. Wenn überhaupt, musste die Presse der Polizei in die Hände spielen – keinesfalls aber dem Täter. Dass es im Moment genau andersherum war, zeigte Ethan nur, wie viel in diesem Fall verkehrt lief.
-79-
Es war kurz vor Mitternacht, als Ethan bei Evangeline auftauchte. Sie war noch wach und hatte den Tag neben ihrer Schicht im South Easy damit verbracht, sich um Madisons Beerdigung zu
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