Abraxmata
zu sich kam und die Augen aufschlug, war es heller Tag. Allerdings war es ein seltsames Tageslicht, das er wahrnahm. Es war sehr hell, aber als Murus nach oben blickte, konnte er keine Sonne, sondern nur einen hellgrauen, fast weißen Himmel erkennen. Das Licht kam ihm so leer und fahl vor, nichts sagend. Als er um sich blickte, hatte er das Gefühl, in einem Nebel gefangen zu sein, denn er konnte nichts außer fahles Grau erkennen und doch war ihm, als müsse er nur wenige Meter gehen, um durch das Grau zu brechen, wie durch eine Blätter-wand, und könnte dann endlich erkennen, wo er sich befand. Das Fehlen von Konturen, von Wolken am Himmel, von Bewegung, wie zum Beispiel einem zarten Windhauch, machte Murus Angst. Seine Umgebung kam ihm leer vor, er fühlte sich eingeschlossen im Nirgends. Der Boden unter ihm war wie ein Spiegel des nichts sagenden Himmels, hellgrau und spiegelglatt sah er aus. Murus bückte sich, um mit seiner Hand die Erde zu berühren, zog sie aber gleich erschrocken zurück. Der Boden fühlte sich wie Nichts an. Er hatte bei der Berührung das Gefühl einer tauben Hand, die nicht wirklich ertasten konnte, was sich unter ihr befand. Es war ein Gefühl, als ob er längere Zeit in einer total ungemütlichen Stellung, die Hand unter seinem Körper eingequetscht, verharrt hätte. Er rappelte sich wieder hoch. Die Einsamkeit und das Nichts machten Murus ganz krank, und er hätte sich lieber gewünscht von Jaipur und seinen Kumpanen umzingelt und bedroht zu werden, als hier zu sein und das Gefühl zu haben, wenn er einige Schritte ginge, könne er über eine Kante in einen tiefen Abgrund stürzen. Er blickte einmal um sich herum, in der Hoffnung, doch noch irgendwo eine Unregelmäßigkeit in der Regelmäßigkeit des blendenden Graus zu erkennen – vergebens.
Er bewegte sich wie auf einem Drahtseil fort, bei jedem Schritt zuerst mit den Zehenspitzen prüfend, dann einen Fuß vorstellend und schließlich vorsichtig sein Gewicht darauf verlagernd. Jeder Schritt war gleich und bei jedem Schritt spürte er nichts unter seinen Füßen, nicht die kleinste Unebenheit. Er ertappte sich dabei, wie er sich wünschte, auf eine spitze Tannennadel zu treten, worüber er im Mondschattenwald immer so geschimpft hatte. Und bei dem Gedanken an den Mondschattenwald kam ihm der Gedanke an seine Freunde, an Chamor, an Hevea, Famora und besonders an Abraxmata. Ob sie ihn suchen würden? Aber wo sollten sie suchen? Wo war er eigentlich? Und plötzlich durchfuhr eine Angstwelle seinen Körper, wie ein kalter Regenschauer, der einem über den Rücken läuft, eine Panikattacke, nie wieder in den Mondschattenwald zurückzukehren, seine Freunde nie wieder zu sehen, nie wieder in seinem Nest zu schlafen. Er schloss die Augen, atmete einmal ganz tief durch und sagte ruhig und konzentriert: »Nein.« Er war fest entschlossen zurückzukommen und lief nun einfach drauflos, ohne große Vorsicht, denn viel schlimmer als das hier konnte auch der erneute Sturz hinunter in das tote Tal nicht sein, schließlich hatte er den schon einmal unbeschadet überstanden.
Manchmal hatte Murus das Gefühl, im Kreis zu laufen, immer wieder an die gleiche Stelle zu kommen, obwohl er ununterbrochen geradeaus gelaufen war, ohne auch nur ein einziges Mal abzubiegen. Immer wieder glitt sein Blick zum Himmel, endlich eine Verdunkelung desselben erwartend. Nach seinem unbeschreiblichen Hunger und Durst zu urteilen, war die Frühstückszeit und auch die Mittagszeit schon lange vergangen. Seine Beine taten ihm vom stundenlangen Laufen weh, und er wollte endlich, dass es Nacht wurde, denn im Schutz der Nacht, falls man hier so etwas wie einen Schutz vor anderen überhaupt brauchte, hatte er sich vorgenommen zu schlafen und neue Kräfte für den nächsten Tag zu sammeln.
Murus kam es vor, als hätte er seit Wochen nichts anderes getan als zu laufen, und dass sich trotz des weiten Weges, den er zurückgelegt zu haben schien, nicht das kleinste Fünkchen Veränderung ergab, belastete ihn ungemein und ließ ein Gefühl der Sinnlosigkeit seines Tuns sich immer weiter in seinem Kopf ausbreiten. Mit der Zeit begann er immer wieder zu straucheln und in seinen Gelenken umzuknicken. Er konnte sich einfach nicht mehr auf das Gehen konzentrieren, wofür er sonst, wenn er satt war und genug getrunken hatte, überhaupt keine Konzentration brauchte. Sein Magen schien ihm nur noch ein einziges Loch zu sein, von seinem Durst ganz zu schweigen. Das Hungergefühl, das seine
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