Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
entgegen.
»Von welchem Wohlstand sprichst du, Katerina? Es ging doch einfach nur darum, noch ein Stockwerk draufzusetzen«, sagt Fanis.
»Was meinst du damit?«
»Das ganze Geld, das wir jahrelang bekommen haben, die Subventionen, die Integrierten Mittelmeerprogramme, das Gemeinschaftliche Förderkonzept, alles ging für das zusätzliche Stockwerk drauf. Kein Neubau, keine Investitionen, kein Wachstum, nichts von alledem. Alles nur für den Wunsch, das vorhandene Haus um eine Etage zu erhöhen. Schon in den fünfziger Jahren war das der Traum jedes Griechen, doch im Unterschied zu damals verdanken wir heute die Zusatzetage einzig und allein dem Euro.«
»Aber unsere Väter und Großväter wussten noch, dass man nur ein Stockwerk draufsetzen darf«, ergänze ich. »Wir haben pro Familie drei Autos, Wochenendhäuser, Swimmingpools und Schlauchboote mit draufgepackt. Das haben die Grundmauern nicht ausgehalten, und das Haus ist unter all dem Gewicht eingestürzt. Wir hatten keinen soliden Wohlstand erreicht, sondern auf das alte Haus eine Etage zu viel gebaut.«
»Die Armut ist eben eine nahe Verwandte aller Griechen«, philosophiert Adriani. »Mit ihr haben wir seit je gelebt. Und nur weil sie uns ein paar Jahre lang nicht mehr besucht hat, glaubten wir, sie hätte uns vergessen. Jetzt hat sie sich wieder gemeldet.«
Katerina und ich nehmen auch vor dem Fernseher Platz. So trifft uns die kalte Dusche alle zusammen. Auf dem Bildschirm diskutieren die Moderatorin und der Kommentator mit einem Regierungsmitglied.
»Glauben Sie, dass dies der geeignete Moment für Neuwahlen ist?«, fragt die Moderatorin.
»Griechenland tritt in eine neue historische Phase, Frau Karalidou«, entgegnet der Minister. »Und damit diese neue Phase mit einer Regierung beginnen kann, die das Vertrauen der Bürger genießt, muss das griechische Volk zu den Urnen gerufen werden.«
»Glauben Sie wirklich, dass es noch Bürger gibt, die den griechischen Politikern vertrauen, Herr Minister?«, fragt ihn der Kommentator mit unüberhörbarer Ironie.
»Das will ich meinen«, antwortet der Minister blasiert.
Selbst Adriani, die in Wirklichkeit nur fernsieht, um ihre Kommentare abzugeben, und nicht, um die Nachrichten zu hören, hält sich diesmal zurück. Stattdessen drückt sie auf den Ausschaltknopf.
»Kommt essen«, sagt sie, doch vor der Küchentür bleibt sie stehen. »Erst haben wir das Fleisch von der Speisekarte gestrichen, dann das Dessert, und jetzt sparen wir uns auch noch das Fernsehen.«
»Du willst eine Fernsehdiät machen? Mal sehen, ob das große Wunder, wie sich meine Mutter immer ausdrückt, länger als drei Tage anhält«, neckt Fanis sie.
»Hör mal, Fanis. Das Gerede über die neue Phase, in die unser Land eintritt, ist blanker Unsinn: Wir kehren in die fünfziger Jahre zurück. Und damals hatten wir kein Fernsehen, sondern nur das Radio.« Darauf kann Fanis nichts erwidern.
Adriani hat Lauchrisotto gekocht und serviert ihn mit dem unerlässlichen Feta, dazu in Öl geschmorte rote Paprika. Sogar in der wirtschaftlichen Fastenzeit gelingt es ihr, zwei Gerichte auf den Tisch zu stellen.
Ich esse mit Appetit, der mir jedoch vergeht, als Gikas anruft.
»Haben Sie das gehört?«, fragt er mich.
»Ja. Das Gute daran ist, dass wir den Minister los sind.«
»Schon, aber in finsteren Zeiten braucht man eine Führung. Wie Sie wissen, beginnt der Fisch vom Kopf her zu stinken. Und ohne Kopf stinken wir alle. Der Gestank steigt mir schon in die Nase.«
»Was ist passiert?«, frage ich besorgt.
»Kommen Sie nach Monastiraki, dann werden Sie schon sehen. Aber nicht mit Ihrem Privatauto, ein Streifenwagen ist zu Ihnen unterwegs.«
Ich gebe Adriani und den Kindern Bescheid, dass am Monastiraki-Platz Randale ist und ich losmuss.
»Wer macht dort Randale?«, fragt Katerina.
Adriani packt die Fernbedienung und schaltet den Fernseher wieder an.
»Siehst du?«, sage ich zu Fanis. »Was heißt hier drei Tage? Nicht mal drei Stunden hat das Wunder angehalten.«
»Sondersendungen sind ausgenommen«, hält mir Adriani kühl entgegen.
Sie hat richtig geraten, denn in der oberen rechten Ecke des Bildschirms steht »Sondersendung«. Die Moderatorin unterhält sich mit einem Reporter, der live zugeschaltet ist. Hinter ihm sind junge Männer zu sehen, die mit Schlagstöcken in der Hand durchs Bild laufen.
»Wie sieht die Lage derzeit aus, Jorgos?«, fragt die Moderatorin.
Die Antwort warte ich nicht mehr ab, sondern laufe ins
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