Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
Schlafzimmer, um meine Uniform herauszusuchen. Kaum bin ich fertig angezogen, läutet es an der Eingangstür, und mit der Krawatte in der Hand eile ich zum Streifenwagen hinunter.
11
Der Fahrer ist ein junger Bursche Mitte zwanzig. »Ich soll Sie zur Ecke Ermou-Straße am Monastiraki-Platz bringen, Herr Kommissar. Nur, wie kommen wir bloß da hin? Vielleicht hilft ja ein Stoßgebet.«
»Was ist dort los?«
»Dort ist der Teufel los. Nur Geduld, irgendwie werden wir es schon schaffen. Dann erleben wir alles live.«
Er schaltet die Sirene an und braust los. Trotz der vorgerückten Stunde stockt der Verkehr, und die Autos suchen nach Ausweichmöglichkeiten, da das Zentrum gesperrt ist. Selbst mit Sirene brauchen wir gute zwanzig Minuten bis zum Monastiraki-Platz.
Aus einiger Entfernung erkenne ich, dass eine Formation der MAT -Sondereinheit vor der Athinas-Straße Aufstellung genommen hat. Weiter hinten sehe ich eine zweite MAT -Einheit vor der Ajion-Assomaton-Straße sowie einen Trupp normaler Polizeibeamter, der sich an der Ecke zur Leokoriou-Straße postiert hat.
Von überall her sind Geschrei und das Krachen zersplitternder Gegenstände zu hören. Vor der kleinen Ajion-Assomaton-Kirche steht Gikas im Gespräch mit Esperoglou, dem Leiter der MAT -Sondereinheit. Ich gehe auf sie zu, um Näheres zur Lage und über meinen Einsatz zu erfahren.
»Wer ist denn hier zugange? Chaoten?«, frage ich die beiden.
»Schön wär’s«, erwidert Esperoglou. »Die Sturmabteilung treibt gerade die Migranten aus ihren Häusern, verprügelt sie, wirft ihre Habseligkeiten auf die Straße und schlägt jeden Laden kurz und klein, der Migranten beschäftigt.«
»Die haben alle Häuser und Geschäfte aufgelistet, wo Zuwanderer leben und arbeiten«, ergänzt Gikas. »Und zwar so systematisch, wie es der griechische Staat seit Jahren nicht hinkriegt. Wenn wir Daten benötigen, wissen wir jetzt wenigstens, an wen wir uns wenden müssen«, fügt er mit bitterer Ironie hinzu.
»Zur Datensammlung haben Sie mich ja wohl nicht herbestellt.«
»Nein, wir sperren möglichst viele Zugänge und spielen mit ihnen in den Gassen Räuber und Gendarm«, antwortet Esperoglou.
»Was habe ich Ihnen über den Fischkopf gesagt, erinnern Sie sich? Ist er ab, dann stinkt der ganze Fisch«, sagt Gikas zu mir.
»Wir suchen nach einem Staatsanwalt, der unseren Einsatz legitimiert. Aber alle sind auf Tauchstation, keiner will die Verantwortung übernehmen.«
»Versuch mal, den Jungs zu befehlen, den Rammbock zu spielen«, bemerkt Esperoglou. »Wenn es Tote gibt, wie sollen wir da beweisen, dass wir es nicht waren?«
»Werden Sie Tränengas einsetzen?«, fragt Gikas.
»Wie denn? Es liegen Verletzte auf der Straße, die daran ersticken würden. Gerade sind die Krankenwagen gekommen«, fügt er hinzu und deutet auf zwei Autos, die vor dem U-Bahnhof Thissio stehen.
Der eine Fahrer steigt aus und stürmt auf Esperoglou zu.
»Wo sind die Verletzten, Herr Einsatzleiter?«
»Über die ganzen Straßen verteilt. Aber vor dem Ende der Ausschreitungen können sie nicht abtransportiert werden. Sonst würde die Sturmabteilung auf Sie losgehen und uns alle in Teufels Küche bringen«, entgegnet Esperoglou.
»Was übernehme ich?«, frage ich Esperoglou.
»Die Leitung der Polizeieinheit.« Und er deutet auf die an der Ecke Leokoriou- und Navarchou-Apostoli-Straße stehenden Beamten. »Sehen Sie zu, dass keiner die Nerven verliert.«
Ich beziehe am mir zugewiesenen Ort Stellung, während der Lärm aus zersplitternden Türen, berstenden Schaufenstern, Flüchen, Drohungen und Schmerzensschreien bedrohlich näher zu kommen scheint. Die Polizeibeamten wechseln kaum ein Wort, die Nervosität steht ihnen ins Gesicht geschrieben.
»Und das ist erst der Anfang«, höre ich eine Stimme neben mir sagen. Als ich mich umdrehe, sehe ich Sotiropoulos, Journalistenpapst und König der Polizeireportage. »Heute jagen sie noch Immigranten, morgen sind wir dran.«
»Jetzt übertreiben Sie aber die Schwarzmalerei, Sotiropoulos«, sage ich, weniger an ihn als an die Polizeibeamten gerichtet, damit sie nicht noch nervöser werden.
»Genau so ist es damals in Deutschland auch gelaufen. Zuerst haben sie die Juden gejagt, dann all die, die nicht auf ihrer Seite waren. Da hatte Hitler leichtes Spiel. Hier läuft’s genauso. Die eine Hälfte applaudiert ihnen, die andere beschwichtigt und sagt: ›Ach, das sind doch bloß Rumtreiber.‹ Ich wäre eins der ersten Opfer gewesen, aber
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