Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
zulässt. Ich kann Ihnen ihre Handynummer geben. Ich hoffe nur, sie geht ran. Auf meine Anrufe reagiert sie nicht.«
Ich frage nicht nach, warum die Tochter mit der Familie gebrochen hat. Das ist ihre Privatangelegenheit und geht mich nichts an. Loukia kommt als Mörderin ihres Vaters sowieso nicht in Frage. Ich notiere mir die Handynummer und verabschiede mich zusammen mit Koula.
»Das ist doch kein Zufall«, sagt Koula, als wir in den Seat steigen.
»Was meinen Sie?«
»Dass beide Kinder ganz woanders waren, als ihre Väter getötet wurden. Der Sohn saß im Gefängnis, und die Tochter war im Ausland.«
»Was denn sonst, Koula? Glauben Sie, die haben die Ermordung ihrer Väter organisiert und sich ein Alibi für die Tatzeit verschafft? Und wie sollte das gehen? Haben sie einen Killer angeheuert? Das ist ja hanebüchen.«
»Okay, es ist ein bisschen weit hergeholt. Trotzdem müssen Sie zugeben, dass das schon ein verdammter Zufall ist.«
»Richtig. Beten Sie bloß, dass uns auch bald so ein verdammter Zufall zu Hilfe kommt, denn sonst sehen wir alt aus.«
Ich rufe die Nummer an, die mir Loukias Mutter gegeben hat, und ich habe Glück: Sie geht sofort ran.
»Hier Kommissar Charitos. Ich muss mit Ihnen reden.«
»Ich bin im Obdachlosenheim. Wollen wir uns hier treffen? Oder soll ich zur Polizei kommen?«
»Nicht nötig. Ich bin gleich bei Ihnen.«
»Schön, bis dann.«
Sie tut so, als ginge es bei unserem Treffen um irgendeine belanglose Angelegenheit. Diese Familie gewinnt den ersten Preis in Coolness, sage ich mir.
Bevor ich losfahre, läutet mein Handy.
»Ich weiß nicht, wo Sie gerade sind, Herr Kommissar. Aber fahren Sie nicht über den Syntagma-Platz, denn der ist gesperrt. Sonst sitzen Sie fest«, höre ich Papadakis’ Stimme.
»Vielen Dank«, antworte ich, erfreut über so viel Hilfsbereitschaft. Da sich in der letzten Zeit in allen Bereichen ein gewisser Schlendrian breitgemacht hat, ist jemand, der mitdenkt, nicht oft anzutreffen. Erneut umfahre ich also den Platz vor dem Parlament und erreiche über die Tritis-Septemvriou-Straße das Obdachlosenheim in Kypseli.
Loukia wartet im Freizeitraum auf mich. Ich nehme ihr gegenüber Platz, und sie heftet ihren Blick auf mich. Dann stelle ich Koula vor, die »hallo« zu ihr sagt, worauf Loukia mit einem »Hey« antwortet. Nach wie vor ruht ihr Blick auf mir. Offensichtlich will sie mich möglichst schnell wieder loswerden.
»Wer hat Sie vom Tod Ihres Vaters benachrichtigt?«, leite ich das Gespräch ein.
»Zuerst haben mich Freunde angerufen, dann meine Mutter.«
»Ihre Mutter hat erzählt, dass Sie ihre Anrufe nicht beantworten. Haben Sie diesmal eine Ausnahme gemacht?«
Diese etwas indiskrete Frage bringt sie überhaupt nicht in Verlegenheit, sondern sie antwortet prompt und entschieden:
»Es ist kein Geheimnis, dass ich mit meiner Familie nichts mehr zu tun haben will. Der Bekanntenkreis meiner Eltern und alle meine Freunde wissen das. Daher hat Ihnen meine Mutter nichts Besonderes verraten.«
»Wieso haben Sie den Kontakt zu Ihrem Elternhaus abgebrochen?« Da dies schon die zweite persönliche Frage ist, füge ich hinzu: »Sie müssen verstehen, Loukia, dass wir so viele Informationen wie möglich sammeln müssen, um den Mord an Ihrem Vater aufzuklären. Daher die vielen Fragen.«
»Ich habe kein Problem damit, Herr Kommissar. Ich wollte einfach mein Leben selbst in die Hand nehmen.«
»Das ist löblich, aber das hätten Sie doch auch tun können, ohne mit Ihrer Familie zu brechen.«
Zum ersten Mal wird sie etwas lauter und antwortet mit Nachdruck: »Meine Eltern wollten mir die Privilegien weiterreichen, die ihre Generation durch den Kampf gegen die Junta erworben hatte. Und das wollte ich nicht. Das ist alles.«
»Was für Privilegien meinen Sie?«, fragt Koula dazwischen. Die Frage ist ihr spontan herausgerutscht.
»Ich hätte alle Prüfungen an der Uni bestehen können, ohne ein einziges Buch aufzuschlagen«, erwidert sie. »Ich hätte mit minimalem Aufwand den Masterabschluss oder den Doktor machen können. Und all das nur, weil ich Theologis’ Tochter bin, der zu der Generation gehört, die sich damals gegen die Militärregierung erhoben hat.«
Sie macht eine Pause und wendet sich wieder an mich.
»In meiner Kindheit erzählte mir meine Mutter bei jeder Gelegenheit vom heldenhaften Widerstand meines Vaters und seiner Weggefährten – oder auch die Geschichte, wie sie meinen Vater nach der Erstürmung des Polytechnikums
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