Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
übergegangen. Er sagte, ich könne ja machen, was ich wollte, aber ich hätte kein Recht, Lefteris’ Leben zu ruinieren. Er schlug mir vor, ihn zu sich zu nehmen, was ich ablehnte. Dann drohte er mir, er würde vor Gericht ziehen. Aber da Lefteris volljährig war, war das nicht mehr möglich. So lange hatte ich nämlich abgewartet, sonst wäre ich schon viel früher gegangen. «
Sie pausiert kurz, um zu entscheiden, was sie mir noch alles erzählen will.
»Zwei Dinge konnte Dimos wirklich gut: attackieren und drohen. Er attackierte Partei- und Gewerkschaftsgremien, er trat bei Protestmärschen und Versammlungen vor die Kamera und stieß Drohungen aus. Um ihn zu besänftigen oder sein Wohlwollen zu erkaufen, schenkte man ihm alles Mögliche: Einmal waren es Auslandsreisen, ein andermal wurden EU -Fördergelder an ihn umgeleitet, dann wieder sprangen diverse Posten für seine Günstlinge heraus. Auf diese Art und Weise machte er Karriere.«
»Als er bei meiner Mutter nicht zum Ziel kam, hat er es bei mir versucht«, ergreift Lefteris das Wort. »Er meinte, es wäre schade, wenn ich mein Studium sausenlassen und in einem Kuhdorf versauern würde.« Er nickt und grinst, als wäre ihm etwas Witziges eingefallen. ›Warum sollte ich Journalist werden?‹, habe ich ihn gefragt. ›Damit du noch öfter im Fernsehen, im Radio und in den Zeitungen zu Wort kommst?‹ Nach Abschluss des Publizistikstudiums an der Panteion-Universität, so sagte er, hätte ich eine Stelle im Pressebüro eines Ministers oder in einer öffentlichen Behörde in der Tasche. Das ganze Gespräch fand hier draußen im Garten statt. Ich bin einfach ins Haus gegangen und hab ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. Seit damals haben wir kein Wort mehr miteinander gewechselt.«
»Werden Sie zum Begräbnis Ihres Vaters gehen?«, lautet Dermitsakis’ spontane Zwischenfrage.
Auch Anna blickt ihren Sohn fragend an.
»Nein«, antwortet er wie aus der Pistole geschossen. »Das Leben meines Vaters hat sich im Kreise seiner Parteifreunde und Gewerkschaftsgenossen abgespielt. Also sollen sie ihm auch das letzte Geleit geben.«
Die Frage ist allerdings weniger, wer ihm das letzte Geleit gibt, als, wer ihn umgebracht hat. Bei allen drei Opfern ist nach ihrem Tod Schmutzwäsche aufgetaucht. Nur, dass die halbe Welt schon jahrelang von dieser Schmutzwäsche wusste und ich nicht beurteilen kann, wessen Nase es war, die den Gestank nicht mehr ertragen hat.
In Ermangelung einer Antwort nehme ich bei einer stereotypen Frage Zuflucht:
»Wissen Sie, ob Ihr Exmann Feinde hatte?«
Die Dermiri lacht auf.
»Da könnte ich Ihnen sofort drei ganz unterschiedliche Gruppen nennen. Die erste umfasst etwa hundert Personen, das sind seine Gegenspieler auf Partei- und Gewerkschaftsebene. Die zweite muss noch größer sein und besteht aus allen, die keine Stelle im öffentlichen Dienst bekommen haben, weil Dimos’ Schützlinge vorrangig behandelt wurden. Sie waren wie die Heuschrecken, von Tag zu Tag wurden es mehr. Und die dritte Gruppe war die Generation, die nach dem Regierungswechsel ans Ruder kam.«
»Wie meinen Sie das?«, wundert sich Dermitsakis und kommt mir mit der Frage zuvor.
»Dazu muss ich etwas ausholen. Die Generation Polytechnikum hatte ein Jahrzehnt lang das Spiel in der Hand. Sie war es, die nach dem Ende der Junta in allen Bereichen die Macht übernahm, von der Politik bis zu den Gewerkschaften und von den Bauernverbänden bis zum Bildungssystem. Niemand durfte ihre Vorherrschaft in Zweifel ziehen. In den achtziger Jahren betrat dann eine neue Generation die politische Bühne, die der aufständischen Studentenjugend nacheiferte. Sie war ganz ihr Ebenbild. Sukzessive begann auch diese Gruppe, dieselben Privilegien einzufordern. Und das führte zu Konflikten und Hass. Wenn Sie unter all diesen Leuten die Feinde ausmachen möchten, die Dimos Böses gewollt haben könnten, brauchen Sie einen langen Atem, Herr Kommissar.«
Hier habe ich es mit einer intellektuellen Bäuerin zu tun, sage ich mir. Sie mag ein schlichtes Schürzenkleid tragen, aber sie kann eindeutig noch anderes, als die Ernte planen und Bäume beschneiden. Es waren die bitteren Erfahrungen eines schwierigen Lebens, die sie gezwungen haben, zu ihren Wurzeln zurückzukehren.
»Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, gehe ich wieder an die Arbeit«, meint Lefteris zu mir.
»Nur zu, das war’s schon.«
»Sagt Ihnen der Name Jannis etwas?«, frage ich die Dermiri, als ihr Sohn gegangen ist.
Sie
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