Abschied nehmen
sah die vor Panik und Verzweiflung schreienden Menschen, wie sie in ihren Nachthemden auf die Straße rannten, da ihnen ihre Häuser über den Köpfen angezündet wurden. Sie liefen hinaus, um sich und ihre Lieben in Sicherheit zu bringen, doch sie ahnten nicht, dass für einige von ihnen draußen eine noch schlimmere Gefahr lauerte. Denn da warteten schon die rotberockten Soldaten der königlichen Armee auf sie, um sie in Empfang zu nehmen und ihnen solch körperliche und seelische Qualen angedeihen zu lassen, bis sich viele von ihnen wünschten, nie die brennenden Häuser verlassen zu haben.
William hörte die Schreie der geschändeten Frauen und das Weinen der Kinder, die sich mit dem Lärm des tosenden Feuers und dem panischen Geschrei der Tiere vermischten. Doch da war noch jemand, der schrie wie von Sinnen und erst nach einer Weile erkannte er, dass er es selbst war. Seine Machtlosigkeit gegen all das, was um ihn herum geschah, ließ ihn innerlich so laut schreien, dass es die Geräusche um ihn herum übertönte und diese, wie von weit her an seine Ohren drangen.
Er sah das Leid in den Augen der Menschen und nun wusste er, woher dieser Hass und die Angst stammten, die er in den letzten Tagen in ihren Gesichtern gesehen hatte. Er konnte nur ahnen, wie lange die englische Armee diese kleinen Überfälle bereits praktizierte, die die Dorfbewohner so überraschend trafen, dass ihnen nichts übrig blieb, als voller Panik aus ihren Häusern zu rennen und sich so gut es geht zu versuchen, in Sicherheit zu bringen.
Doch nur wenigen gelang dies in dieser Nacht, denn die Soldaten jagten hinter jedem her, der flüchten wollte, um zu quälen, zu misshandeln und ihre armen Opfer, dann trotzdem am Leben zu lassen. Denn zu töten, schien nicht ihre Absicht zu sein, stattdessen nahmen sie ihnen alles, was sie hatten, ihr Dach über dem Kopf, ihre Nahrungsmittel und ihre Würde.
William bewegte sich noch immer nicht, als all diese Gedanken auf ihn einströmten, doch ganz plötzlich drang trotz des Lärms, der um ihn herum tobte, ein Laut an sein Ohr. Es war das Weinen eines Kindes und William blickte in die Richtung, aus der es kam. Der Junge, noch keine fünf Jahre alt, weinte bitterlich, während sein Vater, der ihn unter dem Arm trug, versuchte sie beide in Sicherheit zu bringen.
Sie waren bislang noch unentdeckt geblieben und der Mann schlich sich mit seinem Kind an einem der Häuser vorbei, die noch nicht lichterloh brannten. Sie waren beinahe außer Sichtweite, der Mann hätte nur noch ein paar Schritte machen müssen und hätte sich und sein Kind außer Gefahr gebracht, als er, aufgeschreckt von dem Lärm eines zusammenstürzenden Hauses, zurückblickte. Sein Blick traf den von William und die Panik, die in den Augen des Mannes deutlich zu sehen war, ließ diesen erstarren. Statt weiter zu gehen, stand er nun wie gelähmt da, während der Junge, den er noch immer fest mit seinem Arm umschlungen hatte, weiterhin lauthals weinte.
Nun geh schon, rief William innerlich und versuchte dem Mann mit seinen Augen zu signalisieren, seine Beine in die Hand zu nehmen und zu rennen, denn er war plötzlich wie aus einem Traum erwacht. Doch der Mann rührte sich einfach nicht. Dann wandte er seinen Blick ab, in der Hoffnung ihn damit zum Gehen zu bewegen, doch als er wieder hinsah, stand er noch immer da und starrte ihn an.
Nun stieg auch in William Panik auf, denn als er seinen Blick abgewandt hatte, hatte er einen seiner Kameraden entdeckt, der nun die Straße hinunter auf ihn zukam. Er blickte wieder zur Straße und stellte fest, dass Ewan ihm noch ein Stück näher gekommen war. Gleich würde es zu spät sein, dachte er mit vor Verzweiflung geweiteten Augen, gleich würden sie entdeckt werden!
„Komm mit!“, rief William jedoch plötzlich, auf Ewan zu rennend und riss ihn mit sich. „Da vorn wollten eben welche flüchten“, log er, zeigte in die entgegengesetzte Richtung und sein Kamerad folgte ihm bereitwillig.
Selbstverständlich fanden sie niemanden und so musste William notgedrungen dabei helfen, das Dorf weiterhin zu verwüsten. Sie brannten die umstehenden Häuser nieder, bis kein Einziges mehr stand und William verlor dabei vollständig sein Zeitgefühl.
Er konnte im Nachhinein nicht mehr sagen, ob der Überfall nun fünf Minuten oder fünf Stunden gedauert hatte. Es schien sich alles, wie in Zeitlupe abzuspielen.
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