Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
Ablebens ihrer Tochter zu tun haben, und das betrifft auch die
gerichtliche Untersuchung. Es scheint keine enge Beziehung gewesen zu
sein, und vielleicht gibt es Familienangelegenheiten, die sie nicht
offenlegen oder an die sie nicht denken möchte.«
Macklefield antwortete: »Immerhin hatte ihre Tochter ein
gewisses Talent, die Geheimnisse anderer Menschen aufzudecken. Ihnen
dürfte eine zurückhaltende Familie doch gelegener kommen als eine nach
Publicity gierende Mutter, die sich tränenreich an der Tragödie weidet
und ständig den Stand der Ermittlungen erfahren will. Wahrscheinlich
werde ich mehr Probleme mit ihr haben als Sie. Was auch immer sie für
ein Verhältnis zu ihrer Tochter hatte, sie erbt das Geld. Die Höhe des
Betrags wird sie wahrscheinlich überraschen. Ich nehme an, Sie haben
einen Blick in die Bankauszüge und das Wertpapierdepot geworfen.«
»Und das alles bekommt die Mutter?«, erkundigte sich Dalgliesh.
»Alles, bis auf zwanzigtausend Pfund. Die bekommt Robin
Boyton, über dessen Beziehung zu der Verstorbenen ich so gut wie nichts
weiß. Ich erinnere mich, wie Miss Gradwyn kam, um das Testament mit mir
zu besprechen. Sie hatte bemerkenswert wenig Interesse an der späteren
Verfügung über ihr Geld. Die meisten Menschen vermachen einen Teil
einer Wohltätigkeitsorganisation, ihrer früheren Alma Mater oder
Schule. Nichts dergleichen. Es machte fast den Eindruck, als sollte ihr
Privatleben nach ihrem Tod anonym bleiben. Am Montag rufe ich Mrs.
Brown an und mache einen Termin mit ihr aus. Wir helfen ihr natürlich,
soweit es in unserer Macht steht. Sie halten ja sicherlich Kontakt zu
uns, aber ich glaube nicht, dass ich Ihnen noch viel sagen kann. Sind
Sie mit Ihren Ermittlungen schon vorangekommen?«
»Nicht weiter, als man nach einem Tag erwarten kann«,
antwortete Dalgliesh. »Am Dienstag erfahre ich den Termin der
gerichtlichen Untersuchung. In diesem Stadium wird sie sehr
wahrscheinlich verschoben.«
»Vielleicht schicken wir jemanden. Es ist nur eine Formalität,
aber man sollte dabei sein, wenn die Sache Wellen schlägt, was sich
kaum vermeiden lassen wird, wenn die Nachricht erst bekannt ist.«
Dalgliesh nahm das Testament entgegen und bedankte sich.
Macklefield wollte gleich wieder aufbrechen, das war offensichtlich. Er
klappte seine Aktentasche zu. »Ich würde mich jetzt verabschieden, wenn
Sie erlauben, außer Sie brauchen noch etwas. Ich habe meiner Frau
versprochen, zum Mittagessen wieder zurück zu sein. Mein Sohn hat übers
Wochenende ein paar Schulfreunde mitgebracht. Ein Haus voller
Eton-Schüler und vier Hunde sind eine schwer zu zügelnde Mischung.«
Er gab Dalgliesh die Hand, und Kate brachte ihn nach unten.
Als sie zurückkehrte, sagte sie: »Einen Sohn auf der Gesamtschule in
Fulham hätte er wahrscheinlich nicht erwähnt«, doch sie bereute ihren
Kommentar sofort. Dalgliesh hatte auf Macklefields Anspielung mit einem
etwas gequälten Lächeln reagiert, ohne sich jedoch darüber aufzuregen,
einen unschöneren Aspekt von Macklefields Persönlichkeit durchscheinen
zu sehen. Benton wäre amüsiert gewesen, hätte sich aber ebenso wenig
aufgeregt.
Dalgliesh nahm den Schlüsselbund. »Und jetzt machen wir uns an
die Schubladen. Zuerst brauche ich aber einen Kaffee. Vielleicht hätten
wir Macklefield einen anbieten sollen, aber ich wollte den Besuch nicht
unbedingt in die Länge ziehen. Mrs. Brown hat uns erlaubt, mitzunehmen,
was wir wollen, wenn wir hier im Haus sind, da gönnt sie uns sicher
etwas Milch und Kaffee. Falls überhaupt Milch im Kühlschrank ist.«
Das war nicht der Fall. »Ist auch kein Wunder, Sir«, meinte
Kate. »Der Kühlschrank ist leer. Selbst in ungeöffnetem Zustand wäre
eine Packung Milch bei Miss Gradwyns Rückkehr abgelaufen gewesen.«
Sie trug den Kaffeebereiter einen Stock tiefer und füllte ihn
mit Wasser. Dann kam sie mit einem Zahnputzbecher zurück, den sie
ausgespült hatte, um ihn als zweiten Becher zu verwenden. Ganz wohl war
ihr nicht dabei, der kleine Übergriff, den man kaum als Verletzung von
Miss Gradwyns Privatsphäre bezeichnen konnte. Trotzdem erschien er ihr
wie eine Dreistigkeit. Rhoda Gradwyn war in Sachen Kaffee sehr eigen
gewesen, und auf dem Tablett neben der Kaffeemühle stand eine Dose mit
Bohnen. Kate schaltete die Mühle ein, wider alle Vernunft immer noch
mit schlechtem Gewissen, weil sie von der Toten nahmen. Der Höllenlärm
wollte kein Ende nehmen. Als der Kaffee schließlich durchgelaufen war,
schenkte sie
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