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Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Titel: Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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die zwei Becher voll und brachte sie zum Schreibtisch.
    Während er darauf wartete, dass der Kaffee abkühlte, sagte
Dalgliesh: »Falls es noch etwas Interessantes gibt, dann finden wir es
wahrscheinlich hier«, und schloss die Schublade auf.
    Außer einer beigefarbenen, mit Papieren vollgestopften
Sammelmappe lag nichts darin. Der Kaffee war für den Augenblick
vergessen. Sie schoben die Becher zur Seite, und Kate zog sich einen
Stuhl neben Dalgliesh heran. Bei den Papieren handelte es sich beinahe
ausschließlich um Kopien von Zeitungsausschnitten, obenauf ein Artikel
aus einer seriösen Sonntagszeitung vom Februar 1995. Die nüchterne
Überschrift lautete: Ermordet, weil sie zu hübsch war. Darunter
sah man das Bild eines jungen Mädchens, das die halbe Seite einnahm. Es
sah aus wie ein Schulfoto. Die ordentlich gekämmten, blonden Haare
waren mit einer Schleife auf eine Seite gebunden, die weiße
Baumwollbluse, die makellos sauber aussah, stand am Kragen offen,
darüber trug sie ein dunkelblaues, ärmelloses Kleid. Es war in der Tat
ein hübsches Kind gewesen. Selbst in dieser einfachen Pose und ohne
kunstvolle Beleuchtung vermittelte das nüchterne Bild etwas von dem
freimütigen Zutrauen, der Offenheit gegenüber dem Leben und der
Verletzlichkeit der Kindheit. Während Kate das Bild betrachtete, schien
es zu Staub zu zerfallen, sich in einen sinnleeren Schleier zu
verwandeln, bevor es wieder Gestalt annahm.
    In dem Artikel unter dem Bild hatte man auf übertriebene
Drastik und Empörung verzichtet und sich darauf beschränkt, die
Geschichte für sich sprechen zu lassen. Vor dem Crown Court bekannte sich die zwölf Jahre und acht Monate alte Shirley Beale heute für schuldig, ihre neunjährige Schwester Lucy ermordet zu haben.
Sie erdrosselte Lucy mit ihrer Schulkrawatte, bevor sie auf das ihr
verhasste Gesicht einschlug, bis es nicht mehr wiederzuerkennen war.
Bei ihrer Festnahme und in der Zeit danach erklärte sie lediglich, sie
habe es getan, weil Lucy zu hübsch war. Beale wird zunächst in einer geschlossenen Verwahranstalt für Kinder
untergebracht, bis sie mit siebzehn Jahren in eine
Jugendvollzugsanstalt verbracht werden kann. Silford Green, eine ruhige
Londoner Vorstadt, ist zu einem Ort des Schreckens geworden. Lesen Sie
den vollständigen Bericht auf Seite fünf. Auf Seite 12 schreibt Sophie
Langton: »Weshalb töten Kinder?«
    Dalgliesh legte den Artikel zur Seite. Darunter befand sich
eine Fotografie, an ein unbeschriftetes Blatt Papier geheftet. Die
gleiche Uniform, die gleiche weiße Bluse, nur diesmal mit
Schulkrawatte, das Gesicht zur Kamera gewandt mit einem Blick, an den
sich Kate von ihren eigenen Schulfotos erinnerte, gereizt, ein bisschen
unsicher, Teil eines kleinen, jedes Jahr wiederkehrenden
Übergangsritus, widerwillig, aber schicksalsergeben. Es war ein seltsam
erwachsenes Gesicht, und es war eines, das sie kannten.
    Dalgliesh nahm wieder seine Lupe zur Hand, um das Bild
eingehend zu betrachten, bevor er sie an Kate weiterreichte. Die
markanten Gesichtszüge, die leicht hervortretenden Augen, der schmale,
klar umrissene Mund mit der geschwungenen Oberlippe, ein wenig
bemerkenswertes Gesicht, das nunmehr unmöglich noch als unschuldig oder
kindlich betrachtet werden konnte. Die Augen blickten so ausdruckslos
in die Kamera wie die Punkte, aus denen das Bild zusammengesetzt war.
Bei der erwachsenen Frau schien die Unterlippe voller geworden zu sein,
verriet jedoch noch denselben bockigen Trotz. Als Kate das Bild
betrachtete, überlagerte sie es im Geiste mit einem ganz anderen: einem
blutigen, zerschmetterten Kindergesicht, blutverkrusteten blonden
Haaren. Es war damals kein Fall für die Metropolitan Police gewesen,
und wegen des Geständnisses war es nicht zu einer Gerichtsverhandlung
gekommen, doch der Mord weckte alte Erinnerungen in ihr und wohl auch
in Dalgliesh.
    »Sharon Bateman«, sagte Dalgliesh. »Wie ist Rhoda Gradwyn bloß
an dieses Material gekommen? Seltsam, dass sie das herausgeben durften.
Offenbar ist die Sperre aufgehoben worden.«
    Das war nicht das Einzige, was Rhoda in ihren Besitz gebracht
hatte. Sie hatte anscheinend gleich bei ihrem ersten Besuch auf dem
Manor mit ihrer Recherche begonnen, und sie hatte gründlich gearbeitet.
Auf den ersten Zeitungsausschnitt folgten weitere. Ehemalige Nachbarn
hatten wortreich ihr Entsetzen über die Tat ausgedrückt und
Informationen über die Familie preisgegeben. Es gab Bilder von dem
kleinen Reihenhaus, das die Kinder mit

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