Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
Geruch von Papier, Menschen, Farbe und Putzmitteln
wahr. Nach Kreide roch es nicht. Benutzten Lehrer heutzutage überhaupt
noch Kreide? Die Tafeln waren größtenteils Computern gewichen, sogar
schon in der Grundschule. Doch als sie durch mehrere offene Türen
blickte, sah sie gar keine Klassenzimmer. Vielleicht war das Haus des
Schulleiters hauptsächlich seiner Arbeit gewidmet und bestand aus
Seminarräumen oder Räumen für die Verwaltung. Ganz offensichtlich
wohnte er nicht hier.
Er machte ihnen Platz und ließ sie in einen Raum am Ende des
Gangs eintreten. Es war eine Mischung aus Konferenzzimmer,
Arbeitszimmer und Wohnzimmer. Vor dem Fenster stand ein rechteckiger
Tisch mit sechs Stühlen, an der Wand linker Hand befanden sich
Bücherregale, die beinahe bis zur Decke reichten, und rechts war der
Schreibtisch des Schulleiters, mit seinem Stuhl dahinter und zweien
davor. An einer Wand hingen Bilder aus der Schule: der Schachclub,
lächelnde Gesichter mit dem Schachbrett davor, der Mannschaftsführer
hält den kleinen silbernen Pokal; die Fußball- und Schwimmteams, das
Orchester, die Schauspieler der Weihnachtsaufführung und eine Szene aus Macbeth, wie es schien – Macbeth war das ideale Stück für Schulaufführungen: kurz, schön
blutrünstig und nicht allzu schwer zu lernen. Eine offen stehende Tür
gewährte einen Blick auf einen kleinen Raum, der anscheinend als Küche
diente. Es roch nach Kaffee.
Collinsby rückte zwei Stühle vom Tisch ab und sagte: »Ich
vermute, es handelt sich um einen offiziellen Besuch. Wollen wir uns
hierher setzen?«
Er nahm am Kopf des Tisches Platz, Dalgliesh zu seiner
Rechten, Kate links von ihm. Nun konnte sie ihn zwar flüchtig, aber
dennoch genauer betrachten. Was sie sah, war ein gutes Gesicht,
empfindsam und mit energischem Kinn, ein Gesicht wie in einem
Werbespot, der Vertrauen in die Beteuerungen des Schauspielers erwecken
sollte, wenn er die Überlegenheit der Bank gegenüber der Konkurrenz
anpries oder die Zuschauer überzeugen wollte, dass das unbezahlbare
Auto den Neid der Nachbarn wecken könnte. Er wirkte jünger, als Kate
erwartet hatte, vielleicht weil er so legere Wochenendkleidung trug.
Wenn er nicht so müde aussähe, könnte er beinahe so etwas wie die
Unbekümmertheit der Jugend ausstrahlen, dachte sie bei sich. Die grauen
Augen, die kurz ihrem Blick begegneten und sich dann Dalgliesh
zuwandten, waren matt vor Erschöpfung. Doch seine Stimme klang
überraschend jugendlich.
»Wir ermitteln im ungeklärten Todesfall einer Frau in einem
Haus in Stoke Cheverell in Dorset«, begann Dalgliesh. »Ein Ford Focus
mit der Nummer W 341 UDG wurde dort gesehen, als er zwischen elf Uhr
fünfunddreißig und elf Uhr vierzig in der Nacht, in der sie starb, in
der Nähe des Hauses abgestellt war. Das war am vergangenen Freitag, dem
14. Dezember. Wir haben erfahren, dass Sie sich das Auto an diesem Tag
ausgeliehen haben. Sind Sie es gefahren und waren Sie dort?«
»Ja. Ich war dort.«
»Unter welchen Umständen, Mr. Collinsby?«
Nun wachte Collinsby auf. An Dalgliesh gewandt sagte er: »Ich
möchte eine Erklärung abgeben. Im Moment noch keine offizielle Aussage,
auch wenn mir klar ist, dass eine solche unvermeidlich ist. Ich möchte
Ihnen erklären, weshalb ich dort war, und zwar jetzt gleich, so wie mir
alle Ereignisse in Erinnerung sind, und ohne mir zu überlegen, wie sich
das anhören oder was für Auswirkungen es haben könnte. Sie werden
natürlich Fragen haben, und ich werde mich auch bemühen, sie zu
beantworten, aber es wäre hilfreich, wenn ich Ihnen die Wahrheit
zunächst ohne Unterbrechung erzählen könnte. Fast hätte ich gesagt, ich
will Ihnen in meinen Worten erzählen, was passiert ist, aber welche
anderen hätte ich zur Verfügung?«
»Vielleicht wäre das der beste Einstieg in Ihre Geschichte«,
sagte Dalgliesh.
»Ich versuche mich kurzzufassen. Die Geschichte ist
kompliziert geworden, aber im Prinzip ist sie ganz einfach. Ich werde
nicht ins Detail gehen, was mein Leben als junger Mensch angeht, meine
Eltern, meine Erziehung. Ich will nur sagen, dass ich von Kindheit an
Lehrer werden wollte. Ich bekam ein Stipendium für das Gymnasium und
später ein größeres County-Stipendium für Oxford, wo ich Geschichte
studierte. Nach dem Examen errang ich einen Platz an der London
University für eine Lehrerausbildung, die mit einem Pädagogikdiplom
abgeschlossen wurde. Das dauerte ein Jahr. Nachdem ich mit der
Ausbildung fertig war, wollte ich mir ein
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