Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
nun als eine Zeit des Glücks vorstellen, unterbrochen nur
durch unvermeidliche Nöte und Enttäuschungen, oder als das
sprichwörtliche Tal der Tränen, in dem die Freude ein seltener Gast
ist – der Schmerz wird kommen, außer für die wenigen, deren
abgestumpftes Empfindungsvermögen sie unempfänglich für Freude und
Trauer macht.
Sie aßen beinahe schweigend. Der Schinken war zart, und
Dalgliesh hatte ihn großzügig auf das Brot gehäuft. Die Suppe löffelte
er beinahe automatisch, nur am Rande registrierte er, dass sie gut war.
Emma gelang es, etwas zu essen. Nach zwanzig Minuten war sie bereit zum
Aufbruch.
Er half ihr in ihre Jacke. »Rufst du mich an, wenn du in
Putney bist? Ich möchte dir nicht lästig fallen, aber ich will sicher
sein, dass du gut zu Hause angekommen bist. Und ich rede mit DI Howard.«
»Ich rufe dich an.«
Geradezu förmlich küsste er sie auf die Wange, begleitete sie
zum Auto und blickte ihr nach, bis sie auf der schmalen Straße
verschwunden war.
Er kehrte ins Haus zurück, stellte sich vor den Kamin schaute
ins Feuer hinab. Hätte er darauf bestehen müssen, dass sie über Nacht
blieb? Auf etwas bestehen, dieser Ausdruck würde niemals zwischen ihnen
fallen. Und wo hätte sie schlafen sollen? Es gab natürlich sein
Schlafzimmer, aber hätte sie bei ihm schlafen wollen? Immerhin schufen
die gewisse Reserviertheit und die komplizierten Gefühle, wenn er einen
Fall bearbeitete, eine bestimmte Distanz zwischen ihnen. Hätte sie
morgen früh oder gar noch heute Abend Kate und Benton begegnen wollen?
Andererseits sorgte er sich aber auch um ihre Sicherheit. Sie war eine
gute Autofahrerin und würde eine Pause einlegen, wenn die Müdigkeit
kam, aber die Vorstellung, dass sie auf einem Rastplatz parkte, selbst
wenn sie das Auto vorsorglich von innen verriegelte, beruhigte ihn
nicht.
Er riss sich zusammen. Es gab noch einiges zu erledigen, bevor
er Kate und Benton zu sich rief. Zunächst musste er sich mit Detective
Inspector Andy Howard in Verbindung setzen und sich den letzten Bericht
durchgeben lassen. Howard war ein erfahrener und vernünftiger Beamter.
Er würde in dem Anruf weder eine unwillkommene Ablenkung
noch – was schlimmer wäre – den Versuch einer
Beeinflussung sehen. Dann musste er Clara anrufen oder ihr schreiben,
mit ein paar Sätzen für Annie. Aber ein Telefonat war beinahe so
unpassend wie ein Fax oder eine E-Mail. Es gab Dinge, die durch einen
handgeschriebenen Brief übermittelt werden mussten, mit Worten, die
Zeit und gründliche Überlegung erforderten, bleibende Sätze, die
womöglich ein wenig Trost spenden konnten. Doch Clara wollte nur eines
von ihm, und genau das konnte er ihr nicht geben. Jetzt anzurufen und
ihr die schlechte Nachricht überbringen, wäre für sie beide
unerträglich. Mit dem Brief wartete er besser bis morgen, dann würde
auch Emma wieder bei Clara sein.
Es dauerte einige Zeit, bis er DI Andy Howard erreicht hatte.
»Annie Townsend geht es verhältnismäßig gut, aber das arme Mädchen hat
einen langen Weg vor sich. Dr. Lavenham hat mir im Krankenhaus schon
gesagt, Sie interessieren sich für den Fall. Ich wollte mich schon mit
Ihnen in Verbindung setzen.«
»Mit mir zu sprechen hatte keine Priorität«, sagte Dalgliesh.
»Ich möchte Sie auch jetzt nicht lange aufhalten, ich wollte nur
wissen, ob es mittlerweile etwas Aktuelleres gibt als das, was Emma mir
berichten konnte.«
»Ja, es gibt gute Neuigkeiten, wenn man in diesem Zusammenhang
von gut sprechen kann. Wir haben seine DNA. Mit etwas Glück finden wir
ihn in der Datenbank. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er nicht
erfasst ist. Es war ein gewalttätiger Übergriff, aber die
Vergewaltigung wurde nicht zu Ende gebracht. Wahrscheinlich war er zu
betrunken. Sie hat sich mutig gewehrt, außergewöhnlich für eine so
zarte Frau. Ich rufe Sie an, sobald es etwas zu berichten gibt. Und wir
bleiben natürlich in engem Kontakt mit Miss Beckwith. Wahrscheinlich
stammt der Täter von hier. Er hat sich ausgekannt, wusste, wo er sie
hinschleppen muss. Wir sind schon dabei, die Anwohner zu befragen. Je
eher, desto besser, DNA hin oder her. Läuft bei Ihnen alles soweit
zufriedenstellend, Sir?«
»Nicht besonders. Im Moment zeichnet sich nichts ab.« Den
neuen Todesfall erwähnte er nicht.
»Nun, wir befinden uns ja noch am Anfang, Sir«, sagte Howard.
Dalgliesh stimmte ihm zu und legte auf, nachdem er Howard
gedankt hatte.
Er brachte die Teller und Becher in die Küche, spülte
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