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Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Titel: Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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tollte, von ihren Blicken durch das
Küchenfenster begleitet. Und als er ihr in die Augen geschaut hatte,
war ihm klargeworden, dass es der Anfang vom Ende eines Traums war.

8
    W ie jeden Morgen erwachte Rhoda nicht
langsam zu vollem Bewusstsein, sondern war sofort munter, die Sinne
hellwach für den neuen Tag. Sie blieb ein paar Minuten lang still
liegen, genoss die Wärme und Behaglichkeit des Bettes. Vor dem
Schlafengehen hatte sie die Vorhänge nicht ganz zugezogen, ein schmaler
blasser Lichtstreifen zeigte ihr an, dass sie länger als erwartet
geschlafen hatte, ganz sicher länger als gewöhnlich, und dass draußen
ein winterlicher Tag angebrochen war. Sie hatte gut geschlafen, aber
jetzt meldete sich das Bedürfnis nach einer heißen Tasse Tee. Sie rief
die Nummer auf der Liste neben dem Bett an, und eine männliche Stimme
meldete sich. »Guten Morgen, Miss Gradwyn. Hier ist Dean Bostock in der
Küche. Können wir Ihnen etwas auf Ihr Zimmer bringen?«
    »Tee, bitte. Indischen. Eine große Kanne, Milch, kein Zucker.«
    »Möchten Sie gleich das Frühstück bestellen?«
    »Ja, wenn Sie es mir bitte in einer halben Stunde bringen.
Frisch gepressten Orangensaft, ein pochiertes Ei auf weißem Toast, dann
einen Vollkorntoast mit Orangenmarmelade. Ich frühstücke auf meinem
Zimmer.«
    Das pochierte Ei war ein Test. Wenn es perfekt gekocht war,
der Toast mit wenig Butter, weder zu hart noch durchweicht, dann durfte
sie bei ihrem längeren Aufenthalt nach der Operation mit gutem Essen
rechnen. Sie würde hierher zurückkommen – genau in dieses
Zimmer. Sie zog ihren Morgenrock über, ging hinüber zum Fenster und
blickte auf eine Landschaft aus waldigen Tälern und Hügeln. In den
Tälern lag Nebel, der die Hügelkuppen zu Inseln in einem
silbrigbleichen See machte. Es musste eine klare, kalte Nacht gewesen
sein. Das Gras auf dem schmalen Rasenstreifen unter ihrem Fenster war
bleich, vom Bodenfrost gehärtet, aber eine dunstige Sonne war schon
dabei, es wieder grün und weich werden zu lassen. In den obersten
Zweigen einer kahlen Eiche saßen ungewöhnlich ruhig und bewegungslos
wie sorgsam platzierte schwarze Vorzeichen drei Krähen. Unten führte
ein Weg unter Linden zu einer niedrigen Mauer, hinter der man einen
Kreis aus Steinen erkannte. Erst sah sie nur die Oberseiten der Steine,
aber noch unter ihren Blicken hob sich der Nebel, und der Kreis wurde
vollständig. Auf diese Entfernung, und weil der Kreis zum Teil im
Schatten der Mauer lag, konnte man nur erkennen, dass es Steine
unterschiedlicher Größe waren, grobe, unförmige Klötze, die ihren Ring
um einen größeren Stein in ihrer Mitte schlossen. Sie mussten
prähistorisch sein. Während sie hinunterschaute, hörte sie hinter sich
das leise Klappen der Wohnzimmertür. Der Tee war gekommen. Den Blick
noch aus dem Fenster gerichtet, erkannte sie am Horizont einen schmalen
silbrigen Streifen Licht, und ihr Herz machte einen kleinen Sprung, als
sie begriff, dass es das Meer sein musste.
    Weil sie sich noch nicht von dem Anblick trennen wollte, blieb
sie ein paar Sekunden stehen, bevor sie sich umdrehte und erschrak, als
sie einer jungen Frau gegenüberstand, die lautlos eingetreten war und
sie schweigend betrachtete. Es war eine schmale Gestalt in einem
blaukarierten Kleid mit einer unförmigen braunen Strickjacke darüber,
die ihren Status im Unklaren ließ. Offenbar war sie keine
Krankenschwester, aber es fehlte ihr auch an der Sicherheit, dem aus
einer anerkannten und vertrauten Tätigkeit gewachsenen
Selbstbewusstsein eines Hausmädchens. Rhoda vermutete, dass sie älter
war, als sie aussah, aber in dieser Tracht, vor allem der schlecht
sitzenden Strickjacke, wirkte sie beinahe kindlich. Sie hatte ein
blasses Gesicht und glattes braunes Haar, das sie mit einer gemusterten
Spange auf einer Seite festgesteckt hatte. Ihr Mund war klein, die
Wölbung der Oberlippe über einer schmaleren Unterlippe so ausgeprägt,
dass sie wie eine Schwellung aussah. Ihre blassblauen Augen unter den
geraden Brauen standen leicht hervor. Sie blickten aufmerksam, etwas
argwöhnisch, beinahe abschätzig in ihrer Unverwandtheit.
    Mit einer Stimme, die mehr nach Stadt als nach Land klang,
einer gewöhnlichen Stimme mit einem Anflug von Demut, der Rhoda
aufgesetzt vorkam, sagte sie: »Ich bringe Ihnen den Morgentee, Madam.
Ich heiße Sharon Bateman und arbeite hier als Küchenhilfe. Das Tablett
steht draußen. Soll ich es hereinbringen?«
    »Gleich. Ist der Tee frisch

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