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Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Titel: Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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klerikalen Hochmuts an, der auch einen Anflug
von Unbehagen verriet, als handelte es sich bei dem Buch, auf dem seine
Hand ruhte, um den Ursprung der Arten. Neben ihm posierte ein Ritter
des siebzehnten Jahrhunderts, die Hand auf dem Schwertknauf, mit
schamloser Arroganz, über dem Kaminsims hatte sich eine Familie aus
früher Viktorianischer Zeit vor dem Manor versammelt, die gelockte
Mutter inmitten ihrer jüngeren Kinder, der älteste Junge im Sattel
eines Ponys an der Seite des Vaters. Und überall die markant gewölbten
Augenbrauen, die hohen Backenknochen, der kräftige Schwung der
Oberlippe.
    »Sie leben unter Ihren Vorfahren, Miss Cressett. Die
Ähnlichkeit ist frappierend.«
    Weder Dalgliesh noch Kate hätte eine solche Bemerkung gemacht;
sie war wenig taktvoll, außerdem war es nicht klug, eine Vernehmung mit
einer persönlichen Anspielung zu beginnen, und obwohl Kate schweigend
darüber hinwegging, spürte Benton ihre Verwunderung.
    Blitzschnell rechtfertigte er seine spontane Bemerkung vor
sich selber, indem er sich sagte, sie könne sich noch als nützlich
erweisen. Sie mussten über die Frau, mit der sie es zu tun hatten,
präziser noch, über ihren Status hier im Manor Bescheid
wissen – wie weit reichte ihre Macht, wie groß war ihr
Einfluss auf Chandler-Powell und die anderen Bewohner? Ihre Reaktion
auf eine kleine Taktlosigkeit könnte sehr erhellend sein.
    Sie schaute ihm direkt in die Augen und erwiderte kühl: »Das
Erbe der Jahre / Das sich in Linien, Stimme und im Blick / Über des
Menschen Lebensfrist erhebt – bin ich; / Das Ewige im Menschen
/ Das sich dem Tod nicht beugen muss. Um das zu kennen,
musste man kein Kriminalpolizist sein. Mögen Sie Thomas Hardy,
Sergeant?«
    »Den Dichter mehr als den Romancier.«
    »So wie ich. Mich deprimiert sein Hang, seine Romanfiguren
leiden zu lassen, obwohl es mit ein bisschen gesundem Menschenverstand
auf beiden Seiten zu vermeiden wäre. Tess ist eine der irritierendsten
Figuren des viktorianischen Romans. Aber nehmen Sie doch bitte Platz.«
    Jetzt sprach die Gastgeberin, an ihre Pflichten erinnert und
trotzdem unfähig oder nicht bereit, ganz auf den herablassenden,
widerwilligen Ton zu verzichten. Sie deutete auf das Sofa und ließ sich
selber im Lehnsessel gegenüber nieder. Kate und Benton setzten sich.
    Ohne Einleitung ergriff Kate das Wort. »Mr. Chandler-Powell
hat Sie uns als Verwalterin vorgestellt. Was schließt das alles mit
ein?«
    »Meine Tätigkeit hier? Das ist schwer zu beschreiben. Ich bin
Geschäftsführerin, Hausmeister, Sekretärin, manchmal auch Buchhalterin.
Der Begriff Generalmanager würde es wohl am besten abdecken. Aber Mr.
Chandler-Powell pflegt mich den Patienten als Verwalterin vorzustellen.«
    »Und wie lange machen Sie das schon?«
    »Nächsten Monat sind es sechs Jahre.«
    »Es kann nicht leicht für Sie gewesen sein«, sagte Kate.
    »Nicht leicht in welcher Hinsicht, Inspector?«
    Miss Cressett fragte mit distanziertem Interesse, aber ein
unterdrückter Ärger war für Benton nicht zu überhören. Eine solche
Reaktion hörte er nicht zum ersten Mal – ein Verdächtiger, in
der Regel mit einer gewissen Autorität ausgestattet, eher daran
gewöhnt, Fragen zu stellen als Auskünfte zu geben, lässt seinen
Unwillen nicht am Chef der Ermittler aus, sondern richtet ihn auf seine
Untergebenen. Kate ließ sich nicht einschüchtern.
    »In solch ein schönes Haus zurückzukehren, das seit
Generationen Ihrer Familie gehörte, und es im Besitz von jemand anderem
zu sehen. Mit so etwas wird nicht jeder fertig.«
    »Muss ja auch nicht jeder. Ich will es Ihnen erklären. Das
Manor war über vierhundert Jahre im Besitz meiner Familie. Aber jede
Zeit geht einmal zu Ende. Mr. Chandler-Powell mag das Haus, und ich
sehe es lieber in seiner als in der Obhut anderer Leute, die es
besichtigt haben und kaufen wollten. Ich habe nicht eine seiner
Patientinnen ermordet, damit er die Klinik schließen muss und ich den
Familienbesitz billig zurückkaufen kann. Verzeihen Sie meine
Direktheit, Inspector, aber war das nicht vielleicht der Hintergrund
Ihrer Frage?«
    Es war kein kluger Schachzug, eine Behauptung entkräften zu
wollen, die noch gar nicht gemacht worden war, dazu noch mit solch
brutaler Offenheit, und es war offensichtlich, dass sie ihre Worte
bedauerte, sobald sie ihren Mund verlassen hatten. Es gab ihn also, den
heimlichen Groll. Aber Benton fragte sich, gegen wen oder was er sich
richtete: die Polizei, Chandler-Powells

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