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Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Titel: Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Gradwyn war nach der Operation
durchaus in der Lage gewesen zu gehen. Sie hatte ihn ins Haus gelassen,
es war zum Streit gekommen, und er war in Wut geraten. Der Besitzer des
Autos, das bei den Steinen geparkt hatte, war er allerdings nicht, aber
das hatte womöglich gar nichts mit dem Mord zu tun. Die Polizei würde
versuchen, den Fahrzeughalter ausfindig zu machen. Niemand sprach aus,
was alle dachten: Es wäre besser, wenn sie ihn nicht finden würden. Und
selbst wenn es sich herausstellen sollte, dass der Fahrer übermüdet
gewesen war und vernünftigerweise für ein kurzes Nickerchen angehalten
hatte, konnte das der Theorie eines externen Täters nicht viel anhaben.
    Gegen Mittag spürte Lettie, dass die Spekulationen weniger
wurden. Es war ein langer traumatischer Tag gewesen. Jetzt sehnte sich
jeder nur noch nach etwas Frieden und wollte mit sich allein sein.
Chandler-Powell und Flavia teilten Dean mit, dass sie das Essen auf
ihren Zimmern serviert haben wollten. Die Westhalls gingen hinüber ins
Stone Cottage, und Helena lud Lettie auf ein Kräuteromelett mit Salat
zu sich ein, das sie in ihrer kleinen Privatküche zubereiten wollte.
Nach dem Essen machten sie zusammen den Abwasch, später saßen sie vor
dem Kaminfeuer und lauschten beim gedämpften Licht einer einzigen Lampe
einem Konzert auf Radio Three. Keine von beiden erwähnte Rhoda Gradwyns
Tod.
    Gegen elf war das Feuer erloschen. Ein schwaches blaues
Flämmchen leckte am letzten Scheit, der langsam zu Asche zerfiel.
Helena stellte das Radio ab, und sie saßen schweigend da. Dann sagte
Helena: »Warum hast du das Manor verlassen, als ich dreizehn war? Wegen
Vater? Ich war immer der Meinung, du wärst seine Geliebte gewesen.«
    Lettie antwortete ruhig. »Du warst immer viel zu gescheit für
dein Alter. Wir fingen an, uns zu gern zu haben, abhängig voneinander
zu werden. Es war richtig, dass ich gegangen bin. Und du musstest mit
anderen Mädchen zusammenkommen, eine richtige Erziehung erhalten.«
    »Vermutlich. Die schreckliche Schule. Warst du seine Geliebte?
Hattet ihr Sex? Ein schrecklicher Ausdruck, aber alle Alternativen
klingen noch geschmackloser.«
    »Ein einziges Mal. Und da wusste ich, dass es aufhören musste.«
    »Wegen Mama?«
    »Wegen uns allen.«
    »So etwas wie in Begegnung also, nur ohne
Bahnhof.«
    »So ungefähr.«
    »Arme Mama. Jahrelang nur Ärzte und Krankenschwestern.
Irgendwann ist einem die Unterfunktion ihrer Lungen gar nicht mehr wie
eine Krankheit vorgekommen, sondern wie ein Teil ihrer Persönlichkeit.
Und als sie gestorben war, habe ich sie kaum vermisst. Sie war so lange
nicht mehr richtig da gewesen. Ich weiß noch, dass sie mich von der
Schule nach Hause geschickt haben. Es war zu spät. Ich glaube, ich war
froh, nicht rechtzeitig gekommen zu sein. Aber das leere Schlafzimmer,
das war schrecklich. Ich hasse das Zimmer noch heute.«
    »Eine Gegenfrage: Warum hast du Guy Haverland geheiratet?«
    »Weil er ein lustiger, kluger, charmanter und sehr
wohlhabender Mann war. Ich war erst achtzehn, aber ich wusste vom
ersten Tag an, dass es nicht von Dauer sein würde. Deshalb haben wir
auf einem Londoner Standesamt geheiratet, wo das Jawort nicht so
nachhallte wie in einer Kirche. Guy konnte keiner schönen Frau
widerstehen, und er hätte sich nie geändert. Aber wir hatten drei
wunderbare Jahre, und ich habe viel von ihm gelernt. Ich werde die Zeit
nie bereuen.«
    Lettie stand auf. »Höchste Zeit zum Schlafengehen«, sagte sie.
»Vielen Dank für das Essen. Und dir eine gute Nacht, meine Liebe.« Und
fort war sie.
    Helena ging hinüber zum Westfenster und zog den Vorhang
zurück. Der Westflügel lag im Dunkeln, nicht mehr als ein vom Mond
beschienener Umriss. War der gewaltsame Tod Anlass für diese späten
Geständnisse gewesen, fragte sie sich, für diese Fragen, die viele
Jahre nicht gestellt worden waren? Sie dachte über Lettie und ihre Ehe
nach. Sie war kinderlos geblieben, und ein Grund dafür könnte Trauer
gewesen sein. War der Pastor, den sie geheiratet hatte, ein Mann, für
den Sexualität irgendwie etwas Anstößiges war, hatte er seine Frau und
alle Frauen als tugendhafte Madonnen gesehen? Und waren die
Offenbarungen dieser Nacht nur ein Ersatz für die eine Frage, die sie
beide umtrieb und die keine von ihnen zu stellen wagte?

14
    B is halb acht hatte Dalgliesh wenig
Gelegenheit gehabt, sein provisorisches Heim in Augenschein und Besitz
zu nehmen. Die örtliche Polizei war hilfreich und fleißig

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