Airborn 01 - Wolkenpanther
inne und holte tief Luft. Mein Kopf drehte sich. Der verkrüppelte Wolkenpanther, der durch die Bäume sprang, der Sturm, der die Äste durch die Luft schleuderte, das zerstörte Schiff.
Ich hatte mich während der letzten paar Tage sehr zusammennehmen müssen. Nun spürte ich, wie ich ganz leicht zu zittern begann, und fürchtete auf einmal, jeden Moment in Tränen auszubrechen. Ich war fix und fertig. Die Insel hatte mich völlig durcheinander gebracht.
Aber jetzt hatten wir Hydrium und mit Hydrium würden wir wieder abheben können.
Alles würde gut werden.
Ich fiel.
Ich war ein glitschiges Bündel aus Knochen und Haar und fiel durch die Luft.
Ich wusste, dass ich eigentlich fliegen sollte, dass ich zum Fliegen geboren war, doch meine Flügel wollten sich nicht öffnen. Ich versuchte, mit ihnen zu schlagen, war aber so schwach, dass ich mich kaum gegen diese Mauer aus Luft stemmen konnte, die mich bedrängte. Warum nicht? Jede Zelle meines Körpers war eigens dazu gemacht – warum konnte ich es dann nicht?
Meine Flügel bewegten sich nicht.
Der Boden raste immer schneller auf mich zu.
Ich erwachte aus meinem Mango geschwängerten Albtraum. Draußen war es noch dunkel. Bestürzt stellte ich fest, dass es erst kurz nach zwei Uhr morgens war. Ich versuchte, die Traumfee zurückzulocken, aber sie schüttelte nur ihre rabenschwarzen Locken und weigerte sich. Trotz all der guten Nachrichten konnte mein Wetterauge immer noch eine große, schwarze Panikwolke am Horizont meines Verstandes ausmachen. Sie würde mich bald verschlingen, wenn ich mit geschlossenen Augen im Bett liegen blieb und mir weiter Sorgen machte.
Um Baz nicht zu wecken, schlüpfte ich leise aus meiner Koje und zog mich an. Ich schlich hinaus auf den Kielsteg und zog die Tür hinter mir zu. Was ich nachts an Bord der Aurora besonders liebte, war die Tatsache, dass das Schiff niemals richtig schlief. Auch in der Nacht waren immer einige Besatzungsmitglieder unterwegs, Segelmacher, die ihren Dienst am Axialsteg und bei den Schächten versahen, Maschinisten, die die Motorengondeln bedienten. Auf der Brücke standen der Kapitän und die Offiziere in den dunklen, orangefarbenen Schein der Kontrolltafeln getaucht. Jenseits der Fenster war es dunkel, aber wir flogen wie immer in Richtung Sonnenaufgang. Die Mitarbeiter in Bäckerei und Kombüse würden auch bald aufstehen und die erste Mahlzeit des Tages vorbereiten. Lauschte man aufmerksam, konnte man Schritte hören, und holte man tief Luft, würde man bald den köstlichen Duft gebackenen Brots riechen. Inmitten all dieser Aktivität ging es mir sofort besser.
Auch wenn wir unterwegs waren, kam es vor, dass ich nicht schlafen konnte, nur versetzte mich dann meine Schlaflosigkeit nie so in Panik. Ich lag gerne in meiner Koje und las oder träumte vor mich hin und ließ mich zufrieden durch die Nacht tragen. Und manchmal tat ich, was ich auch jetzt vorhatte.
Ich öffnete die Tür zu den Passagierunterkünften, schlich die große Treppe zum Oberdeck hinauf und gelangte durch die schwach beleuchteten, verlassenen Aufenthaltsräume zum Kino. Mit Hilfe meines Schlüsselbunds verschaffte ich mir Zutritt zur Vorführkabine. Ich legte die erste Filmrolle in den Projektor und ließ die helle Wolframlampe vorglühen. Dann drückte ich auf einen Knopf, woraufhin der Vorhang im Kino hochgezogen wurde. Als die Lampe bereit war, startete ich den Projektor und eilte in den Kinosaal, um es mir in einem der mit rotem Samt bezogenen Sitze bequem zu machen.
Baz und ich schauten uns manchmal heimlich Filme an, wenn wir nicht schlafen konnten, weil wir wegen zu vieler Nachtschichten aus dem Rhythmus gekommen oder nach dem Besuch eines exotischen Hafens noch zu aufgedreht waren. Wir starteten den Film, setzten uns mitten ins leere Kino und ließen uns von den Bildern in eine andere Welt entführen. Manchmal verzog ich mich auch alleine hierher. Bei einem guten Film vergaß ich nach den ersten Minuten sofort, dass ich der einzige Zuschauer war. Das Kino roch nach Parfüm, Zigarrenrauch und gerösteten Mandeln.
Gilgamesch. Den hatte ich noch nicht gesehen, doch dem großen Stapel Filmrollen in der Kabine nach zu schließen, handelte es sich um einen Film mit Überlänge. Die von den Lumiére-Brüdern waren immer gut. Licht fiel auf die Leinwand und wie immer zog mich der Film sofort in seinen Bann. Er handelte von einem Wesen namens Enkidu, halb Mensch, halb Tier, das vom Himmel fällt. Der grausame König Gilgamesch
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