Airborn 02 - Wolkenpiraten
bis ich diese Zahlen beherrschte und sie dazu brächte, ihre Kunststücke für mich zu machen. Ich winkte dem Bild des Dekans zu und verließ den Speisesaal.
Fast alle Fenster waren dunkel, als ich über den Hof ging. Ich würde froh sein, wenn alle von ihren Unternehmungen zurück wären und in der Akademie wieder der gewohnte Betrieb herrschte. Meine Absätze klackten laut auf den Pflastersteinen. Vielleicht lag es an den Worten des Dekans über den Fremden, der nach mir gefragt hätte, jedenfalls wurde mir ziemlich unbehaglich. Meine Augen fielen in ihre Krähennestgewohnheit zurück und suchten den Horizont nach verborgenen Gefahren ab. Ich beeilte mich, ins Dornierhaus zu kommen, und fand mich zugleich albern.
Da noch etwas Zeit blieb, bevor ich mich zum Ritz aufmachen musste, putzte ich meine Schuhe, zog ein frisches Hemd an und hoffte, meine Uniform würde genügen, um am Portier vorbeizukommen.
»Wohin geht’s denn noch?«, rief Douglas mir nach, der Nachtdienst am Tor hatte.
»Ach, nur eine Verabredung im Ritz.«
»Heute ganz der Mann von Welt, was?«
Vergnügt winkte ich ihm zu, während ich das große Eichentor aufdrückte und dann die Stufen hinunterlief. Unten blickte ich mich um. Links vom Torbogen zur Akademie stand jemand im Schatten der Büsche und Bäume, nicht gerade versteckt, aber auch nicht so, als ob er gesehen werden wollte. Ohne anzuhalten ging ich weiter und bog in die belebte Allee am Fluss ein.
Es regnete leicht und ich spannte meinen Regenschirm auf. Nach zwanzig Schritten blickte ich zurück zur Akademie, konnte aber die Gestalt neben dem Torbogen nicht mehr sehen. Hinter mir auf dem Gehsteig waren nun viele Menschen, deren Gesichter meist zur Hälfte von einem Regenschirm verdeckt wurden.
Pferdekutschen und Motorkraftwagen drängelten sich lautstark auf der Straße. Lastkähne und Ausflugsdampfer durchschnitten das glitzernde Wasser und vom anderen Ufer der Seine strahlte einladend die City herüber. Der Mann vom Zeitungskiosk nickte mir freundlich zu, als ich vorbeiging.
Die Vorstellung, verfolgt zu werden, kam mir inzwischen ziemlich idiotisch vor, Einbildungen aus einem Heftchenroman. Ich überquerte die Place de la Concorde, bog in die Tuilerien ein und hatte Menschen und Lärm hinter mir gelassen. Plötzlich war es dunkler zwischen den Bäumen, Motorkraftwagen und Pferde waren nur noch gedämpft zu hören. Mein Unbehagen kehrte zurück. Weiter vorne rauschte das Wasser eines Brunnens. Ich schlug einen Weg ein, auf dem ich schneller zurück zur Straße kommen würde.
»Entschuldigung.«
Wahrscheinlich wäre ich nicht stehen geblieben, wenn es keine Mädchenstimme gewesen wäre.
Ich drehte mich um. Ein Zigeunermädchen, nicht älter als ich. Sie trug einen langen Ledermantel und um den Kopf ein exotisches Tuch. Nachtschwarze, nasse Haarsträhnen hingen ihr ins Gesicht. Sie hatte keinen Schirm. Sobald ich in Paris angekommen war, hatte man mich vor den Zigeunern gewarnt. Die bestehlen einen, ohne dass man es merkt, hatte mir ein Zugschaffner erzählt. Die müssen einen nicht mal berühren, hatte ein Ladenbesitzer zum Besten gegeben. Die können einem die Brieftasche aus der Jacke zaubern, indem sie dir nur in die Augen blicken.
»Hast du einen Augenblick Zeit?«
Ich registrierte ihren englischen Akzent. »Ich bin in Eile.«
Sie kam einen Schritt näher. Ich beobachtete ihre Hände.
»Ich möchte nur mit dir reden.«
Ich wich zurück. »Nein, ich muss wirklich gehen.« Ich hatte gehört, dass die Schönen einen manchmal ablenken, während zwei oder drei ihrer kräftigen Männer von hinten kommen und einen zu Boden schlagen.
»Du hast doch nicht etwa Angst vor mir?«, fragte sie halb amüsiert.
»Ich kenne dich nicht.«
»Bist du Matt Cruse?«
»Woher weißt du das?«, fragte ich dümmlich.
»Monsieur, belästigt Sie diese Frau?«
Ich drehte mich um und sah einen Gendarm mit Laterne und Polizeiknüppel herbeikommen.
»Nein, aber ich muss gehen, ich bin schon spät dran.«
Der Gendarm wandte sich an das Mädchen. »Du hast gehört, was der Herr gesagt hat, er will nicht länger mit dir sprechen. Wohnst du hier in Paris oder bist du auf der Durchreise?«
»Das geht Sie nichts an.«
»Das geht mich sehr wohl etwas an, wenn ich mit Leuten deiner Art zu tun habe.«
»Und welche Art soll das sein?«
»Zigeuner, mein Fräulein.«
»Ich bin eine Roma.«
»Nenn es, wie du willst …«
Ich ging weiter, aber mit schlechtem Gewissen, weil ich das Mädchen in den
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