Akte Mosel
Blumenkübel. Von der Straße aus kann er nicht gesehen werden. Um diese Zeit parken hier nur noch Anlieger. Jo kämpft gegen die Müdigkeit. Endlich vernimmt er das vertraute Motorengeräusch von Maries Citroën. Als er einsteigt, wirft er die Tasche über den Sitz nach hinten und stellt den Eimer zwischen seine Füße. An der ersten Ampel, an der Marie halten muß, küßt er sie auf die Wange und atmet tief durch.
Als sie in die häusliche Einfahrt einbiegen, hat Jo ihr eine Kurzfassung der letzten Stunden gegeben. Drinnen zieht er die Vorhänge am Küchenfenster zu und stellt den Eimer mitten auf den Tisch.
»Na komm’, Marie, greif mal rein!« fordert er sie auf und öffnet die Plastiktüte. Wieder schwirrt ihm die Filmszene mit der Schatzkiste durch den Kopf. Aber Marie faßt nicht mit beiden Händen hinein und strahlt und wirft das Gold in die Höhe. Sie bleibt so weit vor dem Tisch stehen, daß sie sich nach vorne beugen muß, um in den Eimer sehen zu können, als lauerten Giftschlangen darin.
Jo nimmt eine Handvoll Münzen heraus und läßt am Spülbecken Wasser darüber laufen. Augenblicklich haben sie ihren ursprünglichen Glanz wieder. Er nimmt ein Küchentuch und legt sie darauf.
»Hier, faß’ sie mal an«, Jo hält Marie eine Münze hin.
»Das ist doch Wahnsinn, was hast du gemacht?« Marie ist blaß geworden. »Wir haben doch alles, was wir uns wünschen. Sollen wir das auf’s Spiel setzen?«
»Nein, Marie, so ist das nicht, ich habe gestern abend bei Zelig eine Nachricht hinterlassen, ich werde ihm gleich morgen früh alles übergeben. Aber heute Nacht gehört der Schatz nur uns allein.«
»Ich muß dir ja wohl nicht sagen, wie du aussiehst? Ich koche jetzt mal einen Kaffee und hüte deinen Schatz, und du richtest dich wieder halbwegs her.«
Wie gerne hätte Jo jetzt ein ausgiebiges Bad genommen, aber die Neugier läßt ihm nur Zeit für eine schnelle Dusche, bevor er mit einem Bestimmungskatalog für römische Münzen und einer alten Decke, die sie bei der Renovierung zur Abdeckung von Möbeln verwendet haben, wieder in die Küche kommt.
»Nicht so laut, du weckst Philipp auf«, ermahnt ihn Marie, als er Stühle und Tisch zur Seite rückt, um Platz zu schaffen für die ausgebreitete Decke. Jo hievt die Plastiktüte aus dem Eimer und schüttet vorsichtig den Inhalt in die Mitte der Decke.
»Haben wir noch einen Film da? Ich hole mal die Kamera.«
Bald liegen in langen Reihen Münze neben Münze auf dem Tuch. Genau 1.045 Münzen waren in der Plastiktüte, und 22 hat Jo vom Kockelsberg mitgebracht. Das Gefäß legt er wieder vorsichtig in den Eimer zurück. Auf 500 Münzen schätzt er den darin zusammengebackenen Klumpen.
Marie, die bisher noch keine der Münzen angefaßt hat, sitzt am Rand des Tuches. Jo beginnt nun damit, einzelne Münzen aus den Reihen zu nehmen und am Waschbecken zu reinigen. Marie sucht währenddessen im Münzkatalog nach Jos Bestimmungsmerkmalen die Datierungen heraus.
»Es sind etliche Münzen dabei, die nicht im Katalog verzeichnet sind«, stellt Marie fest.
»Noch nicht verzeichnet sind«, ergänzt Jo.
Diese fotografiert Jo und macht dann mehrere Aufnahmen vom gesamten Münzteppich. Als der Film voll ist, geht Jo dazu über, Zeichnungen anzufertigen. Die Zeit verfliegt. Es beginnt zu dämmern. Marie hat die Scheu vor den Münzen verloren. Um soviel wie möglich erfassen zu können, legt sie die Münzen unter Papier und schraffiert mit einem weichen Bleistift die Oberfläche. Schrift und Zahlen sind deutlich, die Abbildung ist etwas schwächer erkennbar.
Gegen 6.30 Uhr hören sie den Wecker in Philipp’s Zimmer piepsen.
»Mensch, es sind doch Ferien, was soll das?« stöhnt Jo.
»Heute ist Schachturnier für Daheimgebliebene in Dingsbums, da ist er mit Turm Trier auch dabei«, klärt Marie auf.
Hastig raffen sie die Enden des Tuches zusammen und schütten die Münzen vorsichtig in die Plastiktüte zurück.
Eine Viertelstunde später kommt Philipp in die Küche und wundert sich nicht weiter, daß der Tisch nicht an seinem gewohnten Platz, sondern an der Wand steht. Er mampft einen gehäuften Suppenteller voll in Milch dümpelnder Cornflakes. Den Eimer an der Tür mit der alten Decke darauf registriert er nicht. Unordnung ist in diesem Haus nichts Ungewöhnliches.
Jo wählt im Arbeitszimmer Zeugs Nummer. Nach dem fünften Läuten springt der Anrufbeantworter an. Die monotone Ansage wird unterbrochen:
»Ja, Zeug?« krächzt es in der Leitung. Es folgt ein
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