Alasea 01 - Das Buch des Feuers
sollten jene sein, die ohne Hinterlist waren! Wie konnten sie überhaupt ein bestimmtes Alter erreichen? Er hob die flache Hand vor ihr Gesicht, um sie zum Schweigen zu veranlassen.
Sie beachtete ihn nicht. »Du bist der mieseste Käfer, der im Dung gräbt«, zischte Ni’lahn, da sie offenbar annahm, er sei im Begriff, sie zu verraten. Und das hätte er tatsächlich getan, wenn er durch Verrat die eigene Haut hätte retten können; aber dafür war die Zeit noch nicht ganz reif.
Er wagte es, die Augen von dem Skal’tum abzuwenden und Ni’lahn ins Gesicht zu sehen. Als er sie ansprach, versuchte er, seiner Stimme einen möglichst tiefen Klang zu verleihen. Unter den Bewohnern von Schwarzhall ging die Sage, die Schergen des Herrn der Dunklen Mächte hätten Schwierigkeiten, in tieferen Tonlagen zu hören. Ihre Ohren, scharf wie die von Feuerfledermäusen, hörten am besten in den höheren Tonlagen. Ob das nur Gerede war oder den Tatsachen entsprach - jedenfalls sprach Rockenheim mit dumpfer Stimme und sehr schnell. »Still! Wenn du überleben willst, dann lass mich diese Sache regeln. Vertrau mir!«
»Dir vertrauen!« stieß sie laut aus. »Da würde ich noch eher der Schwarzen Seele persönlich vertrauen.«
»Wenn du nicht als Mahlzeit enden willst, dann halte deine Zunge im Zaum.«
Der kauernde Mogwied schob sich näher zu Rockenheim hin. Die Augen des Gestaltwandlers waren immer noch auf die dampfende Masse von Knochen und Eingeweiden gerichtet, die einst ein stolzer Hengst gewesen war. Die Stute, die ganz in der Nähe stand, hatte es aufgegeben, an ihrer Leine zu zerren, und stand einfach nur zitternd da. Sie hatte die Augen vor Angst verdreht, aber sie verhielt sich still. Kluges Pferd, dachte Rockenheim.
Mogwied mischte sich in ihre Unterhaltung ein. »Wenn der Mann diese Tiere kennt, wäre es vielleicht das Beste, wenn wir seinem Rat folgen würden.«
Die kleine Frau verwarf die Worte des Gestaltwandlers mit einem Kopfschütteln. »Er weiß gar nichts. Er…«
»Genau!« sagte Rockenheim leise und durchbohrte sie mit den Augen; seine Worte waren eher ein Hauchen als Sprechen. »Ich weiß nichts. Genau das ist es. Ich kann nichts Brauchbares enthüllen - nur unsere Haut retten. Ich habe keine Lust, in Gefangenschaft zu geraten. Von den Klauen dieser Geschöpfe zu Tode zerrissen zu werden, ist eine angenehme Vorstellung im Vergleich dazu, als ein in Ungnade Gefallener vor den Herrn der Dunklen Mächte gezerrt zu werden.« Sein Blick fiel auf das zerfetzte Pferd. Sein Schicksal war ein Gnadenakt verglichen damit, was in den Verliesen von Schwarzhall geschah. »Lass mich meine Arbeit tun.«
Was er am besten beherrschte, war die Kunst des Überlebens - dank seines klugen Verstandes und seiner geschliffenen Zunge.
Sie sah ihn finster an, hielt die Lippen jedoch fest zusammengepresst.
Er wandte sich zu dem Skal’tum um, das den Knochen des Pferdeschenkels geknackt hatte und diesem jetzt das Mark aussaugte. Das Wesen wusste, dass sie in der Falle saßen, und genoss es anscheinend, die Spannung zu verlängern. Das andere Geschöpf schlich näher heran, die Augen starr auf Rockenheim gerichtet. »Ich höre ein Ssummen von Krabbelmücken, aber keine Antworten. Ssag unss, wo ssich dass Mädchen verssteckt.«
Rockenheim strich seinen Reitmantel glatt und versuchte, sich vor den hoch aufragenden Skal’ten einen selbstsicheren und ruhigen Anschein zu geben. Er räusperte sich, um die belegte Kehle zu befreien, und antwortete: »Genau wie ihr, große Abgesandte des Schwarzen Herzens, befinde auch ich mich auf der Spur des Hexenkindes.«
»Du hasst verssagt. Die Kunde isst biss nach Schwarzhall gedrungen. Wir wurden aussgeschickt, um deinen Fehler wieder gutzumachen.«
Rockenheim spreizte die Hände weit, als ob er erschüttert und verletzt wäre. »Das ist nicht mein Fehler. Das Versagen geht zu Lasten des alten Krüppels Dismarum. Er hat meinem Wunsch nicht nachgegeben, Gewalt und Klinge zu benutzen, um das Mädchen dingfest zu machen, sondern setzte stattdessen auf Lug und Trug. Das war sein Niedergang und führte dazu, dass unsere Bemühungen bis jetzt erfolglos blieben. Dieses Kind ist ein Ausbund an boshafter List und Tücke. Es ist den vielen Fallen der Dunkelmagik ausgewichen.«
»Und wo warsst du während der ganzen Zeit, kleiner Mann?«
Rockenheim legte sich die Hand auf die Brust. »Das Schwarze Herz hat mich dem Dunkelmagiker übergeben. Ich hatte keine andere Wahl, als nach Dismarums Geheiß zu
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