Alasea 01 - Das Buch des Feuers
andere Mann, der größere. »Auf Geheiß des Rates von Gul’gotha verlangen wir Zutritt zu diesem Haus. Eine Weigerung wird die Festnahme des gesamten Hausstandes nach sich ziehen.«
»Was wollt ihr?«
Dieselbe Stimme erklang wieder. »Wir haben Befehl, das Anwesen zu durchsuchen. Entriegelt die Tür.«
Ihr Vater warf der Mutter einen besorgten Blick zu. Elena schüttelte den Kopf und versuchte, den Vater zu warnen.
Er wandte sich wieder der Tür zu. »Es ist schon spät in der Nacht. Wie sollen wir wissen, ob ihr wirklich die seid, die ihr zu sein behauptet?«
Ein Blatt Papier wurde unter der Tür hereingeschoben, dem Vater vor die Füße. »Ich trage das Siegel des Prokurators der grafschaftlichen Garnison.« Ihr Vater wies Joach mit einer Handbewegung an, das Papier aufzuheben und ins Licht der Laterne zu halten. Von der anderen Seite des Raumes aus sah Elena das purpurne Siegel am Fuß des Schriftstücks.
Der Vater drehte sich um und flüsterte: »Es sieht offiziell aus. Joach, lass die Laterne hier, und bring Elena hinauf. Ihr beide verhaltet euch vollkommen still.«
Joach nickte, offensichtlich sehr beunruhigt; er wäre lieber geblieben. Aber wie immer tat er, wie sein Vater ihn geheißen hatte. Er stellte die Laterne an den Rand des Tisches und kam zu Elena. Ihre Mutter drückte sie noch einmal, dann schob sie sie zur Tür. »Pass auf deine Schwester auf, Joach. Und kommt auf keinen Fall herunter, bevor wir euch rufen.«
»Jawohl, Mutter.«
Elena zögerte. Das flackernde Licht der Laterne warf zuckende Schatten an die Wand. Es war nicht der Sprecher der beiden, der ihr Angst machte, sondern der andere, der Mann mit der Kapuze, der bis jetzt geschwiegen hatte. Sie hatte keine Worte für die kalte Übelkeit, die ihr Herz umklammerte, als sie sich an das Gesicht erinnerte, das versucht hatte, sie durchs Fenster zu erspähen. Also trat sie stattdessen noch einmal zu ihrer Mutter und umarmte sie lange und innig.
Ihre Mutter strich ihr liebevoll durchs Haar, dann schob sie sie weg. »Beeil dich, mein Liebling. Dies alles hat nichts mit dir zu tun. Du und Joach, ihr beide lauft jetzt schnell hinauf.« Die Mutter bemühte sich, ein tröstendes Lächeln zustande zu bringen, doch die Angst in ihren Augen machte die Bemühung zunichte.
Elena nickte und ging rückwärts zu ihrem Bruder; ihre Augen ruhten immer noch auf ihren Eltern in der Küche.
Joach sagte hinter ihr: »Komm, Schwesterchen.« Er legte ihr die Hand auf die Schulter.
Sie erbebte unter seiner Berührung, ließ sich jedoch von ihm wegführen. Sie kehrten durch die Stube zurück zum dunklen Fuß der Treppe. Der Lichtschein der Laterne in der Küche fiel wie ein Leuchtfeuer durch das dunkle Haus und tauchte ihre Eltern in Helligkeit. Von der Treppe aus beobachtete Elena, wie ihr Vater sich abwandte und daranmachte, die Eisenstange zu heben, die die Tür gegen Einbrecher sicherte. Aber Elena wusste, dass jene Männer, die da draußen standen, viel schlimmer waren als Räuber und Banditen.
Diese Angst war der Grund, warum sie wie angewachsen am Fuß der Treppe stehen blieb. Joach zog sie am Arm und versuchte, sie hinaufzudrängen. »Elena, wir müssen gehen.«
»Nein«, flüsterte sie. »Sie können uns hier im Schatten nicht sehen.«
Joach stritt nicht mit ihr; offenbar wollte er selbst das weitere Geschehen beobachten. Er kniete sich neben seiner Schwester auf der ersten Stufe nieder. »Was meinst du, was die wollen?« flüsterte er ihr ins Ohr.
»Mich«, antwortete sie, ebenfalls flüsternd, ohne nachzudenken. Elena wusste anscheinend sehr genau, dass dies stimmte. Das Ganze war irgendwie ihre Schuld: die Veränderung an ihrer Hand, der verbrannte Apfel im Obsthain, die verwüstete Badekammer und jetzt dieser mitternächtliche Besuch. Es waren zu viele seltsame Ereignisse, als dass es sich um bloße Zufälle handeln konnte.
»Sieh nur!« flüsterte Joach.
Elena richtete den Blick auf ihren Vater, der gerade die Küchentür aufstieß. Er blockierte die Schwelle, die Axt immer noch in der Hand. Sie hörte die Stimmen.
Ihr Vater sprach als Erster. »Also, was soll diese nächtliche Störung?«
Der dünne Mann trat in die Türöffnung, jetzt im Schein des Laternenlichts. Er war nur um einige Fingerbreit kleiner als ihr Vater, aber bei weitem nicht so breit in der Brust, und ein kleiner Bauch wölbte sich unter einem zerrissenen, zerknitterten Hemd. Er trug einen Reitmantel und schlammverkrustete schwarze Stiefel. Selbst aus der Entfernung
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