Alasea 01 - Das Buch des Feuers
Nacht, quoll ihr zwischen den Baumreihen entgegen, und Donnerschläge krachten den Hügelkamm entlang. Sie versuchte, Nebelbraut zu einer schnelleren Gangart anzutreiben, doch das Pferd lahmte allmählich, schwitzte heftig nach dem panischen Lauf.
»Wir müssen ihr eine Rast gönnen, El!« rief Joach von hinten. »Nebelbraut kann diese Geschwindigkeit nicht durchhalten.«
»Aber das Feuer!«
»Wir haben einen ordentlichen Vorsprung. Der Wind wird die Flammen aufhalten.« Er griff von hinten an ihr vorbei und zog an den Zügeln. Nebelbraut verfiel in langsamen Trott.
Joach rollte sich von der Stute und schwang die Zügel nach vorn, um das Pferd zu lenken. Nebelbraut schnaubte kräftig in die Nacht, ihre Nüstern bebten, die Augen waren weit aufgerissen und verrieten ihre Angst. Der Rauch und das Prasseln des Feuers ließen sie nicht zur Ruhe kommen; ihre Hufe tanzten, sie wollte wieder losgaloppieren.
Elena tätschelte ihr den Kopf und stieg ebenfalls ab. Joach hatte Recht. Nebelbraut würde weiterrennen, bis ihr das Herz zerspränge, wenn man ihr freien Lauf ließe. Sie nahm ihrem Bruder die Zügel ab und führte Nebelbraut neben sich her.
Joach legte eine Hand auf die nasse Flanke des Pferds. »Sie ist überhitzt. Heute Nacht können wir nicht mehr auf ihr reiten.«
Aber Elena war nicht willens, dieses letzte Stück ihrer Heimat in die Nacht entschwinden zu lassen. Sie umklammerte die Zügel fest mit beiden Fäusten. Während sie dahinrannte und -hüpfte, gelang es ihr, einen Fuß gegen einen Stein zu stemmen, dann zog sie mit einem Ruck an den Lederzügeln. Nebelbrauts Kopf flog nach hinten, und der Rumpf des Pferdes schlug nach vorn, hangabwärts. Elena warf die Zügel um den Stamm eines Obstbaumes und sicherte sie, wobei sie betete, dass das Zaumzeug nicht reißen möge. Zum Glück hielt es. Nebelbraut taumelte, dann kam sie wieder auf die Beine.
Joach kam rutschend neben ihr zum Stehen. »Was sollte das denn sein?«
»Schsch!« machte Elena.
Durch das Prasseln des Feuers hindurch war ein neues, anschwellendes Geräusch zu hören. Zunächst war es nur ein Wispern, dann wurde es deutlicher. Das Schlagen kräftiger Flügel, als ob jemand einen schweren Teppich schwenkte, näherte sich.
Nebelbraut wieherte und stemmte sich gegen die Zügel, die Augen so verdreht, dass nur noch das Weiße zu sehen war. Elena duckte sich, und Joach huschte unter die Zweige eines Apfelbaums.
Beide ließen den Blick forschend über den Himmel wandern. Rauch verdunkelte die Sterne, doch der Rußmantel wallte, als das geflügelte Geschöpf vorbeirauschte. Es war etwas Großes, mit einer Flügelspanne von mehr als doppelter Mannsgröße. Nur die Spitze eines Flügels - ein knochiges Gebilde, bespannt mit einer faltigen roten Membrane - stieß für einen flüchtigen Augenblick durch den Rauchschild, bevor sie wieder verschwand.
Bei diesem Anblick gefror Elenas Blut zu Eis. Was in dieser Nacht flog, war kein Bewohner des Tals, sondern ein Wesen, das weit entfernt von hier nistete, weit außerhalb der Sichtweite guter Menschen. Es flog auf das Feuer zu.
Nachdem es vorbei war, sprach Joach als Erster, die Stimme zu einem Flüstern gedämpft. »Was war das?«
Elena schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, wir sollten uns besser beeilen.«
Rockenheim drückte sich ein Taschentuch auf Nase und Mund, während er die brennende Fackel so weit wie möglich vom Körper entfernt hielt. Seine Kehle schmerzte vor Ruß und Rauch. Er warf die Fackel in einen trockenen Weißdornbusch am Rand des Obsthains. Der Busch ging lichterloh in Flammen auf, während Rockenheim zum Innenhof des bäuerlichen Anwesens zurückkehrte.
Er stolperte zu der Stelle, wo Dismarum sich auf seinen Stock stützte. Der Seher hielt eine Hand in die Luft, um den Wind zu prüfen. »Noch einmal.« Dismarum deutete auf einen Haufen toter Blätter, der am Rand des Feldes zusammengefegt worden war.
»Ich habe genügend Feuer entzündet«, sagte Rockenheim und wischte sich dabei die Asche von den Händen am Hosenbein ab. Sein Gesicht war von Schweiß und Rauch verschmiert. »Der ganze Hügel steht in Flammen.«
»Noch einmal«, wiederholte der Seher und deutete auf den Haufen. Sein dunkles Gewand, an den Rändern versengt, wallte in der nächtlichen Brise.
Verdammt sollen die verfluchten Augen dieses Kerls sein, dachte Rockenheim. Er blieb wie angewurzelt auf der Stelle stehen. »Das Feuer brennt bereits heftig genug, um die Kinder aus den
Weitere Kostenlose Bücher