Alasea 02 - Das Buch des Sturms
große gesehen habe.«
Er verteilte sie an die anderen. Da sie all ihr Gepäck einschließlich des Proviants zurückgelassen hatten, gab es nicht einmal Wasser an Bord. Während Ferndal eine der großen, rothäutigen Früchte mit der Nase über den Bootsboden rollte und daran schnupperte, brauchte Elena beide Hände, um die ihre zu umfassen. Sie kräuselte die Nase. Einen derartigen Apfel hatte sie noch nie gesehen. Sie folgte Jastons Beispiel und biss einfach hinein. Als ihre Zähne sich in die Haut der Frucht bohrten, lief ihr süßer Saft übers Kinn, und sie fand das Fleisch des ›Apfels‹ knackig und seltsam kühl. Erst als sie den Mund voll hatte, wurde ihr bewusst, wie hungrig sie war. Sie verzehrte die Frucht genüsslich, genau wie es die anderen taten. Allzu bald war sie bis zum Kerngehäuse verspeist. Doch auch dann hörte Elena noch nicht auf. Sie kaute die Kerne samt Gehäuse und stellte fest, dass sie ein wenig nach Haselnuss schmeckten.
Zufrieden und satt, merkte sie, dass die Angst und Kälte in ihrer Brust auf seltsame Weise vergangen waren. Schon der Akt des Essens, eine geringe Leistung, um in dieser unheilvollen Gegend zu überleben, bestärkte sie in ihrem Entschluss. Sie lehnte sich zurück, die Spannung wich aus ihrer Schulter. Zumindest den heutigen Tag würde sie überstehen.
Am späten Nachmittag fiel Elena sogar in einen leichten Schlummer, während sie unbehelligt an Schrecknissen vorbeiglitten, die auch den tapfersten Mann zu Stein hätten erstarren lassen. Sie sah sich um, jetzt weniger auf der Hut vor irgendwelchen Angriffen, und war tatsächlich fähig, den Kreislauf des Lebens an diesem sonderbaren Ort zu bewundern: die Kro’kan-Mutter, die den Schwanz um ein Nest mit Eiern gelegt hatte; ein Paar langbeiniger Kraniche mit Schnäbeln wie Schwerter, die vor ihren flügge gewordenen Jungen herflogen und ihnen zeigten, wie man im seichten Wasser fischt; das Paarungsritual zweier Felsschildkröten, die so groß waren wie Felsbrocken. Selbst hier konnte kein Gift verhindern, dass das Leben seinen Lauf nahm.
Schließlich verschluckte erneut die Nacht den Sumpf, und Elena versuchte, richtig zu schlafen. Ihr Bauch war voll von einer späten Mahlzeit, die aus etwas bestanden hatte, das Jaston ›Kartoffelkraut‹ genannt hatte. Es handelte sich dabei um eine faserige Knolle, die kettenartig im Wasser wuchs. Das Zeug schmeckte alles andere als gut, aber es machte satt. Zufrieden dämmerte Elena in einen angenehmen Schlummer hinüber, den Kopf an Ferndals Seite gelegt. Der Wolf lag zusammengerollt am Bug des Bootes.
Zumindest in dieser Nacht, geborgen im Kreis ihrer Freunde, fühlte sich Elena sicher. In ihrem tiefsten Inneren aber ahnte sie, dass dieser Friede nicht von Dauer sein würde. Also würde sie diesen Augenblick genießen. Die Sorgen des nächsten Tages konnten bis zum Morgengrauen warten.
Sie schloss die Augen und ließ sich von dem giftigen Land einlullen.
Der Blutjäger schob sich durch den tieferen Sumpf. Hier war das Wasser bevölkert von Geschöpfen, die um einiges größer waren als er, doch sie wichen vor ihm zurück, wenn er des Weges kam. Seine abscheuliche Steinhaut ekelte die Tiere mit ihrem scharfen Geruchssinn an.
Torring tauchte wieder an die Oberfläche auf, um den Geruch der Hexe zu prüfen. Ihre Spur brannte wie Blitze in der Luft. Zuvor, auf der Insel, hatte er bald die Fährte seiner Beute wieder aufgenommen. Er hatte das zertrampelte Schilf und Wassergras erkundet. Ein anderes Wasserfahrzeug hatte die Hexe erwartet, eines, das im seichten Wasser versteckt gewesen war.
Nachdem er das schlammige Ufer nach weiteren Hinweisen auf ihre unbekannte Unterstützung durchforscht hatte, hatte er das Unterfangen erfolglos aufgeben müssen. Er war gezwungen, sie zu Fuß weiter zu verfolgen, also war er durch den Morast gestapft und hatte sich durch das immer dichter werdende Gewirr von Wurzeln und Moos gekämpft. Er war ihr während der ganzen letzten Nacht und des folgendes Tages nachgegangen.
Dem Umstand nach zu schließen, dass ihre Fährte immer schwächer wurde, kam sie jetzt schneller voran und vergrößerte den Abstand zwischen ihr und ihm.
Doch auch als nun erneut die Nacht hereinbrach, setzte er die Verfolgung fort. Solange ihr Geruch noch wahrnehmbar war, würde sie ihm nicht entkommen. Irgendwann würde sie langsamer werden oder anhalten, und dann würde er sie wieder einholen. Und diesmal würde er besser vorbereitet sein.
Während diese Gedanken
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