Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
Dann zog er einen kleinen Beutel aus der Tasche, öffnete ihn und schüttete sich ein Häufchen weißer Knöchelchen in die Handfläche. »Damit studiere ich die unsichtbaren Wege des Lebens. Doch nicht alle Pfade sind deutlich gekennzeichnet. Kesla wurde mit dem Dolch auf die Reise geschickt, aber sollte sie nur seine Klinge in Hexenblut tauchen oder gab es noch einen weiteren Grund? Hatte ihre Reise noch ein anderes Ziel?« Parthus blickte zu Joach auf.
»Nämlich? Mich zu suchen? Und hierher zu bringen?«
Der Schamane nickte und ließ die Knochen von einer Hand in die andere rollen. »Oft sind die Pfade verschlungen und vielfach gewunden, und man kann nur schwer erkennen, welcher der richtige ist.«
Joach seufzte. »Ich sehe noch immer nicht, was daran so wichtig ist. Ich kam also hierher. Und ich habe eine starke Begabung für die Traum Magik. Aber wieso macht mich das zu einem dieser Traumbildner?«
Der Schamane schloss die Augen. Sein Gesicht wirkte gequält. »Sobald ihr beiden die Oase betreten hattet, las ich in euren Herzen und sah die Bande, die euch aneinander fesseln. Sie liebt dich, wie sie noch keinen anderen geliebt hat.« Der Schamane schlug die Augen wieder auf. »Und ich vermute, das Gleiche gilt umgekehrt auch für dich.«
Joach schoss das Blut in die Wangen. Er wollte die Unterstellung wütend zurückweisen, aber von seinen Lippen kam nur hilfloses Gestammel.
»Verleugne nicht die Stimme deines Herzens, Junge«, fuhr ihn Parthus wütend an. »Ich dulde keine Lügen hier in Oo’schal.«
Joach nickte kleinlaut und verzichtete auf jeden weiteren Protest.
Parthus räusperte sich und fuhr in ruhigerem Ton fort. »Bevor Kesla die Reise nach A’loatal antrat, träufelte ich ein wenig von ihrem Blut über diese Knochen. Das ist ein alter Schamanentrick, der es uns ermöglicht, die betreffende Person aus der Ferne zu überwachen.« Er schüttelte die Faust und ließ die Knöchelchen klappern. »Doch schon beim ersten Wurf erfuhr ich sehr viel mehr als erwartet. Die Knochen nannten mir nämlich Keslas wahren Namen und verrieten mir, woher sie gekommen war.«
Joach sah ihn ratlos an. Kesla hatte ihm erzählt, sie wäre als kleines Mädchen allein durch die Wüste geirrt. Der Vorsteher der Meuchler Gilde hätte sie gefunden, in den Alkazar mitgenommen und nach den Grundsätzen der Gilde erzogen. Hatte sie ihm vielleicht nicht alles offenbart? »Was hast du erfahren?«
»Es fällt mir schwer, es auszusprechen. Bisher habe ich noch niemanden eingeweiht, nicht einmal Gildemeister Belgan.« Der Schamane ließ die Knöchelchen in den Sand fallen und erhob sich.
Joach betrachtete den Knochenwurf, dann sah er zu dem hageren Schamanen auf. »Was haben sie dir über Kesla verraten?« wiederholte er.
»Es ist schon spät«, wich Parthus aus und wollte sich abwenden. »Wenn wir morgen den Alkazar erreichen wollen, steht uns ein harter Tagesmarsch bevor.«
Joach sprang so hastig auf, dass er die Knochen mit Sand bestäubte, und griff nach dem Arm des Schamanen.
Parthus trat einen Schritt zurück, dann drehte er sich um. »Ich frage dich zum letzten Mal willst du die Wahrheit wirklich hören? Die Wahrheit über Kesla, über ihre Beziehung zu dir? Warum sie beweist, dass du ein Bildner bist?«
Joach befielen plötzlich Zweifel, er fürchtete sich vor der Antwort. Aber etwas in ihm weigerte sich, dem Schamanen blind zu vertrauen, und bestand darauf, das Geheimnis zu erfahren. Da er sich seiner Stimme nicht sicher war, nickte er nur.
»Nein«, sagte Parthus. »Ich möchte hören, wie du es laut aussprichst.«
Joach räusperte sich umständlich. »Sag es mir«, stieß er heiser hervor.
»Du musst mir schwören, es niemandem zu verraten. Nicht deinen Freunden und nicht einmal Kesla selbst.«
»Ich schwöre.«
Parthus ließ die Schultern hängen und seufzte. »Kesla, das Mädchen, das du liebst sie ist nicht das, was sie zu sein scheint.«
»Das begreife ich nicht.«
Parthus wandte sich ab. »Kesla ist ein Traum, eine Fleisch gewordene Vision, von der Wüste erzeugt und in diese Welt entsandt. Nicht nur sie hat dich erwählt, durch sie hat auch die Wüste gesprochen. Sie hat wieder einen Bildner in den Sand der Ödlande geholt. Du bist ins Amt des Hüters berufen, du bist auserkoren, das Land von der Seuche zu befreien, die in Tular schwärt.« Der Schamane entfernte sich. Joach war wie vom Donner gerührt. »Aber Kesla, das Mädchen sie ist nicht wirklich.«
Joach konnte sich nicht von der Stelle
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