Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
den einäugigen sechsundzwanzigjährigen Antigonos, Truppenführer eines Söldnerverbands und Versorgungsplaner. Philipp war nur zu hören; er befand sich auf dem kopron, in einer durch Holzwände abgetrennten Nische. Die Tür des Verschlags war kaum angelehnt; man hörte den Zorn des Zeus, und Olympias sah die behaarte Hand nach dem Schwamm greifen, ihn in die Schale mit Duftwasser tauchen, wenig später im Bottich auswringen. Sie lächelte flüchtig und ging zum langen, dunklen Tisch, an dem die anderen saßen.
Drakon hatte einen Napf mit eingelegten Oliven vor sich stehen; er schien sie jedoch eher zu lutschen als zu kauen, biß dafür unendlich lange auf den Steinen herum, ehe er sie ausspie. Parmenion, Antipatros und Antigonos tranken Wasser. Olympias nahm den schwarzen Stuhl mit einer Sitzfläche aus verflochtenen Binsen neben Parmenion und ließ sich von ihm Wasser in den Becher gießen.
» Ah, was wollt ihr? Euch waschen oder trinken?« Philipp kam grinsend zum Tisch, goß aus einem Krater Wein in seinen Becher, ging zum Altarstein zwischen den beiden Fensteröffnungen, goß ein paar Tropfen hin, murmelte » für die Götter« und setzte sich dann Olympias gegenüber
» Aristandros würde sich wundern«, sagte Drakon undeutlich; er rollte den Olivenkern auf seiner Zunge herum. » Er schwört, daß König Philipp den Göttervater für einen Emporkömmling hält.«
Philipp wieherte vor Lachen; Antipatros schob den ledernen Haus-Helm in den Nacken und tippte mit dem Zeigefinger vor seine Stirn. » Aristandros übersieht, daß der König selbst Priester ist wie jeder König und deshalb keine besondere Achtung vor Priestern hat. Mangelnde Achtung vor Priestern hat aber nichts mit mangelnder Hinwendung zu den Göttern zu tun.«
Philipp hieb auf den Tisch. » Mach einen Witz, Antipatros!«
Parmenion kicherte. » Und er warf einen Igel in die Lüfte und sprach zu ihm: › Flieg!‹«
Antipatros wedelte mit den Händen, als wären es Flügel, hielt dabei die Ellenbogen an den Leib gepreßt. » Witze? Zahllose Monde mußte ich wachen, damit nicht die Wühlmäuse dein Reich zerfressen, Philipp; nun bin ich müde. Ich erfreue mich der schwermütigen Aussicht auf einen langen Schlaf, nun, da du wieder in Pella weilst. Wenn ich aus diesem Schlaf erwache, werde ich lange frühstücken; erinnert mich doch danach an die Möglichkeit, daß irgend etwas witzig sein könnte.«
Drakon klatschte in die Hände; Philipp, der sich den Mund mit Wein spülte, grinste breit, und einige Tropfen rannen ihm aus den Mundwinkeln.
» Genug davon.« Er wischte sich den Mund mit der Hand, dann die Hand mit dem Chiton. » Der Staatsrat berät nun über den Staat. Schreiber!«
Vier ältere Männer traten ein, verneigten sich, setzten sich an einen Nebentisch, rollten Papyros aus, stellten Tintenschalen hin und griffen zu den Halmen. Jeder von ihnen würde einen Satz schreiben, immer in der gleichen Reihenfolge, und später würden sie die besprochenen Dinge und die zweifellos denkwürdigen Reden vollständig niederlegen.
» Parmenion– du bist dran.« Philipp lehnte sich zurück, den Becher in der Hand. Während Parmenion in sorgsamen, abgewogenen Sätzen über die kriegerischen Ereignisse und die politischen Folgen oder Voraussetzungen sprach, die Bewegungen und Erfolge des vergangenen Jahrs zusammenfaßte und die Aufgaben umriß, die im Frühling anstünden, sahen Philipp und Olympias einander in die Augen. Der König fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen; einer seiner Füße kroch unterm Tisch zwischen Olympias’ Beinen hinauf. Als Antipatros sich räusperte, grinste Philipp. » Ich verpaß schon nichts, Freunde; ob ihr’s glaubt oder nicht– bei allem, was Parmenion erzählt, war ich dabei. Und ich bin stolz und dankbar, einem edlen und großherzigen Strategen zugesehen haben zu dürfen oder dürfen zu haben oder gedurft gehabt worden zu sein. Weiter.«
Parmenion kam zum Ende. Philipp kniff ein Auge zu und stupste Antigonos einen Zeigefinger zwischen die Rippen. » Und du hast immer noch kein neues Auge? Drakon, warum sammelst du nicht Augen statt Zähne? Wer will schon Zähne?«
Drakon zog die Oberlippe hoch, daß man sein weißes, ebenmäßiges, vollkommenes Gebiß sah. » Blinde, o König unter den Einäugigen, müssen kauen können; es sind aber schon viele sehenden Auges verhungert. Solltest du je ein Auge verlieren, werde ich es aufheben und in Gold einfassen.«
» Ich werde dich dafür füttern, Heiler.–
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