Alice im Netz - das Internet vergisst nie!
Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, erschienen ihr abwegig und naheliegend zugleich.
Es war kein Zufall, dass Edgar hier neben ihr stand. Das konnte kein Zufall sein.
âI-ich muss nach Hauseâ, stammelte sie, machte auf dem Absatz kehrt und lief, ohne sich von Edgar zu verabschieden, davon.
Wenn man kopflos aus einer Wohnung herausstürzte, dann war wohl das Letzte, woran man dachte, gefälligst den Hausschlüssel mitzunehmen. Schon allein deswegen, damit man später, wenn man wieder Herr seiner Sinne und Taten war, von anderen unbemerkt in sein Zimmer zurückschlüpfen konnte, um sich der nassen Wollsocken zu entledigen und sich ein wenig aufzuwärmen.
Alice blieb nichts anderes übrig, als zu klingeln.
Ihrer Mutter fielen fast die Augen aus dem Kopf. âWo kommst du denn her?â
Alice atmete schnaufend aus. âIch ⦠Mir ist was aus dem Fenster gefallenâ, log sie und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Eine blödere Erklärung hätte ihr wirklich nicht einfallen können. Die Wohnung lag schlieÃlich im Erdgeschoss, und in Aliceâ Zimmer gab es nur ein einziges Fenster, ein bodentiefes. Davor befand sich eine kleine gepflasterte Terrasse, und aus diesem Grund lieà sich das Fenster wie eine Tür weit öffnen.
âUnd warum hast du dann nicht einfach deine Terrassentür geöffnet und es wieder hereingeholt?â, fragte ihre Mutter mit gerunzelter Stirn.
âIch wollte mich eben noch ein wenig bewegen vor dem Mittagessenâ, log Alice wenig überzeugend weiter. âUnd da dachte ich, ich gehe vorne raus und laufe einmal ums Haus herum.â
âIn Socken?â
Alice streckte energisch das Kinn vor. âJawohl, in Socken. Lässt du mich jetzt bitte rein? Mir ist nämlich kaltâ, erklärte sie mit leicht patzigem Unterton und schob sich an ihrer Mutter vorbei in die Wohnung.
Als sie mit nassen Socken und noch immer bibbernd vor Kälte zu ihrem Zimmer stolzierte, hörte sie ihre Mutter hinter sich tief seufzen. âHeute sind offenbar alle ein bisschen durchgeknallt.â
Alice verkniff sich eine Bemerkung und beeilte sich, in ihr Zimmer zu kommen.
Sie war schon auf der Schwelle, als ihre Mutter plötzlich rief: âWas war es denn?â
Alice drehte sich langsam zu ihr um.
âÃhm â¦â, machte sie. âWas meinst du?â
âWas dir aus dem Fenster gefallen ist. Du hast ja gar nichts in den Händen.â
Für den Bruchteil einer Sekunde wollte Alice aufgeben. Zu ihrer Mutter laufen, sich von ihr in den Arm nehmen lassen und ihr die ganze Wahrheit erzählen. AnschlieÃend würde sie ihr eine Tasse heiÃen Kakao machen und sich um den bösen Jared, wer auch immer sich hinter diesem bescheuerten Namen verbergen mochte, kümmern.
Aliceâ Mutter war eine taffe Frau. Wenn sie etwas in Angriff nahm, dann wurde es gut. Das war schon immer so, darauf hatte Alice ihr ganzes Leben lang vertrauen können.
Mama war sogar mehr Fels in der Brandung, als Papa es für gut und gesund hielt. Schon oft hatte er vorwurfsvoll zu ihr gesagt, sie dürfe nicht ständig ihren Kindern die Probleme abnehmen.
âDu machst sie doch völlig lebensuntauglichâ, hatte er ihr einmal sogar vorgehalten. âSie müssen lernen, dass sie für das, was sie tun, in einem gewissen Rahmen auch selbst die Konsequenzen tragen müssen.â
Und er hatte verdammt noch mal recht damit. Diesen Ãrger hatte sie sich höchstwahrscheinlich selbst eingebrockt. AuÃerdem hatte ihre Mutter nicht den blassesten Schimmer davon, was im Internet so ablief. Und von der Rasenden Rita wusste sie auch nichts. Sie kannte sich in Aliceâ virtueller Welt nicht den kleinsten Deut aus.
Dazu kam, dass für sie, so taff sie auch sein mochte, Harmonie und ein gutes Auskommen miteinander von allergröÃter Wichtigkeit waren. Wenn Alice ihr nun beichten würde, dass sie unter dem Nicknamen Rasende Rita für alles andere als Harmonie am Geschwister-Scholl-Gymnasium gesorgt hatte, würde sie sicherlich wenig Verständnis dafür aufbringen können.
Nein, die Suppe musste sie schon selbst auslöffeln.
âEs war so ein winzig kleiner Stern aus Glitzerfolie. Katja hat ihn mir heute in der Schule geschenkt. Ich bin zum Fenster und wollte ihn mir noch einmal bei hellem Licht anschauen. Dabei ist er rausgeflogen, und als ich dann ums Haus gelaufen bin, um
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