Alice im Netz - das Internet vergisst nie!
an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
Alice war es nicht gewohnt, im Stockdunkeln zu schlafen. Schon als kleines Kind hatte sie sich vor der Finsternis gefürchtet und darauf bestanden, dass die Jalousien oben blieben und ein kleines Nachtlicht das Zimmer wenigstens ein bisschen erhellte. Das war bis heute so geblieben.
Doch noch beunruhigender war der Gedanke, dass dort an ihrem Fenster jemand gestanden und sie beobachtet hatte â und dass er es jederzeit wieder tun könnte. Deshalb hatte sie gestern Abend die Vorhänge zugezogen und das kleine rote Licht auf ihrer Kommode ausgelassen.
Alice streckte vorsichtig die Hand aus, tastete nach der Lampe auf ihrer Kommode, fand sie und drückte auf den Anschaltknopf.
Sie schaute zum Fenster hinüber, vergewisserte sich, dass die Vorhänge richtig zugezogen waren und nicht den kleinsten Ritz zum Durchschauen boten. Dann schlug sie die Zudecke zur Seite, schwang ihre Beine aus dem Bett, stand auf und ging mit steifen Schritten zu ihrem Schreibtischstuhl hinüber. Sie nahm die Socken von der Sitzfläche, die Jogginghose und das Sweatshirt von der Armlehne, zog sich an und setze sich auf den Stuhl.
Mit einem tiefen Seufzer drückte sie den Anschaltknopf des Rechners und gleich darauf den am Monitor.
Während der PC hochfuhr, legte sie sich gedanklich schon die Worte zurecht, die sie vorhatte zu schreiben, sobald ihr Mailprogramm dazu bereit war.
âNicht mit mirâ, murmelte sie und starrte finster auf den Monitor.
Im Ordner Gelöschte E-Mails fand sie die gesuchte Mail, verschob sie wieder in ihren Posteingang und klickte dann auf âAntwortenâ.
Lieber Jared,
wer auch immer du bist, du hast es geschafft mich zu beeindrucken. Ja, wirklich, ich bin beeindruckt.
Und natürlich verstehe ich deinen Ãrger. Aber ich bin unschuldig. Ich habe niemanden damit beauftragt, dich auszuspionieren. Bestimmt nicht.
Wenn irgendjemand so etwas unternommen haben sollte, dann garantiert ohne mein Wissen und ganz, ganz sicher ohne meine Zustimmung. Das musst du mir glauben!
Aber findest du nicht auch, Jared, dass wir das Versteckspiel langsam beenden sollten? Ich möchte dich kennen lernen, und wenn ich deine Nachrichten richtig gedeutet habe, dann möchtest du das doch auch, oder? Was hältst du davon, wenn wir uns treffen? Ich kenne ein kleines, nettes Café, das âKrügersâ. Es befindet sich in der oberen Etage des Einkaufszentrums in der GoseriedestraÃe. Da ich davon ausgehe, dass du dich in meiner Nähe gut auskennst, wirst du sicher wissen, was ich meine. Falls das nicht der Fall sein sollte, müssten wir uns etwas anderes einfallen lassen.
Ich bin gespannt, von dir zu hören â und noch gespannter, dich endlich zu sehen.
Deine Alice
Als Alice auf âSendenâ klickte, war sie sich ganz sicher, auf welchem Rechner Augenblicke später ihre E-Mail eingehen würde. Der Fall Jared war für sie gelöst, auch wenn die eigentliche Gegenüberstellung noch ausstand. Dennoch war Alice überzeugt davon, dass niemand anderes als Mike im Café Krügers auftauchen würde. Entweder mit genug Mumm in den Knochen, um sich grinsend an ihren Tisch zu setzen, oder doch ganz das Weichei, das Alice in ihm vermutete. Das würde bedeuten, dass er sich in irgendeiner Ecke verkriechen und sie von dort aus beobachten würde.
Alice war es gleichgültig, ob er sich zeigen oder weiterhin feige verstecken würde. Wichtig war, dass
sie
sich zeigen würde. Sie würde sich nicht weiter von ihm verrückt machen lassen. Sie würde in die Offensive gehen. Das war das einzig Richtige.
Mike hatte sich verraten. Auf eine Art und Weise, die ihrer Meinung nach an Dummheit nicht zu übertreffen war. Kaum hatte Katja sich bei ihm über das Thema unerwünschte E-Mails schlau gemacht, schon beschwerte er sich unter dem selten blöden Pseudonym Jared via E-Mail darüber bei ihr. Blöder ging es doch gar nicht mehr. Mal ganz davon abgesehen, dass er Katja sogar noch den eindringlichen Hinweis gegeben hatte, sich bloà nicht an die Polizei zu wenden, weil die solchen Lappalien nicht nachgehen würde.
Lachhaft. Dieser Typ war einfach nur zum Kaputtlachen, schoss es Alice durch den Kopf. Und seinetwegen hatte sie sogar vorgehabt, die Rasende Rita sterben zu lassen. Wegen solch eines Blödians.
Hatte? War das nicht längst beschlossene Sache? Hatte sie in den letzten Tagen nicht selbst
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