Alissa 1 - Die erste Wahrheit
davon, dass sie es schon beinahe richtig ausgeführt hat?«
»Ja, wie?«, warf Strell weise ein, obwohl er nicht behaupten konnte, dass er sich im Moment sonderlich klug vorkam.
Nutzlos schaute auf und bemerkte Strells Blick. Sogleich verbarg er die Hände in den weiten Ärmeln. »Ich nehme an, sie hat das getan, während sie allein war. In welchem Zustand hast du sie vorgefunden?«
»Bewusstlos und dem Tode nah.« Strells ruhiger, reiner Blick überbrückte den geringen Abstand zwischen ihnen und verriet seine starken Gefühle. »Ich konnte sie nicht davon überzeugen, zu mir zurückzukehren. Bailic hat sie zurückgeholt.«
»Bailic!«, bellte Nutzlos und begann sich zu erheben. »Wenn du mich in die Irre führen willst, Pfeifer –«
»Das tue ich nicht!«, protestierte Strell hitzig und fügte dann leiser und schuldbewusst hinzu: »Und es ist mich teuer zu stehen gekommen.«
»Daran zweifle ich nicht.« Nutzlos ließ sich wieder auf dem Boden nieder.
»Alissa sagt, ich hätte sie zurückgebracht, doch ich konnte es nicht.« Bedrückt zupfte Strell an seinem Stiefelband.
»Sie weiß es sicher besser als du, Strell«, erwiderte Nutzlos sanft.
»Schon möglich.« Strell ließ das Band in Ruhe und räusperte sich. Er musste etwas ansprechen, woran er nicht einmal denken wollte. »Bailic hält mich für denjenigen, der seinen Anspruch auf ihr Buch gefährdet.«
»Schon wieder mein Buch?«, entgegnete Nutzlos. »Was, bei der Asche meines Vaters, will sie mit meinem Buch?« Er runzelte die Stirn über einen plötzlichen Gedanken, den er jedoch nicht mit Strell teilte, und schüttelte dann den Kopf, als streite er etwas ab. »Aber es freut mich, dass es dir gelungen ist, ihn zu täuschen.«
»Ich glaube, sie findet sich allmählich damit ab, dass ihre Pfade verloren sind, und –«
»Der Verlust soll dauerhaft sein?« Überraschung schwang in der Stimme der schläfrigen Gestalt mit, als Nutzlos sich plötzlich hellwach aufrichtete. »Ihre Verbrennung sollte verheilen – denke ich. Sag mir, verschläft sie den halben Tag?«
Strell richtete sich in neu erwachter Hoffnung ebenfalls auf. »Wenn ich nicht aufpasse. Sie war sehr müde in letzter Zeit.«
»Nickt sie ein, sobald die Sonne untergeht?«
»Ja, so war es. Jetzt quält sie mich mit ihren Wörtern, wenn ich sie nicht in den Schlaf wiege – unabsichtlich natürlich.« Er errötete leicht.
Nutzlos musterte ihn argwöhnisch. »Oh ja, sie ist in Heilung begriffen. Sie weiß es nur nicht. Ihre Neigung zur Schläfrigkeit ist ein Überlebensmechanismus, der verhindert, dass sie einen Konflikt vom Zaun bricht, bevor ihre Pfade wiederhergestellt sind.«
Strell stockte der Atem, und sein Herz machte einen Satz. Seine süße Alissa wurde wieder gesund! Bald würde aus ihrem Gleichmut wieder das feurige Temperament werden, das er so liebte – sofern er dieses verfluchte Buch finden konnte.
»Strell? Ich spreche mit dir, Strell!«
»Wie bitte?« Strell riss seine Gedanken von Alissa los.
Nutzlos zog die Augenbrauen hoch. »Ich habe dich gefragt«, wiederholte er vorsichtig, »mit was für Wörtern sie dich quält.«
»Ach so. Bailic glaubt, ich könnte lesen, also muss ich es jetzt lernen.«
»Du bist ein Tiefländer von guter Abstammung. Das sagt mir dein ungeheuerlicher Akzent. Du solltest bereits lesen gelernt haben. Oder ist das geschriebene Wort während meiner momentanen Abwesenheit von der freien Welt in Ungnade gefallen?«
»Nein«, versicherte ihm Strell, der nicht als kompletter Dummkopf erscheinen wollte. »Nicht die gewöhnliche Schrift, sondern diese.« Er blickte sich um und stellte fest, dass nichts da war, womit er es Nutzlos hätte zeigen können. Strell verdrehte frustriert die Augen und zeichnete mit dem Zeigefinger ein einfaches Symbol auf den Fußboden. Hoffentlich begriff Nutzlos, was er meinte.
Das tat er.
Der Meister blinzelte, und ein Schauer überlief seinen hageren Körper. »Der kleine Fratz kann also lesen«, flüsterte er. »Verflucht seist du, Meson. Ich habe dich gewarnt, aber du wusstest ja schon immer alles selbst am besten. Du hast deine Tochter in ungeheure Gefahr gebracht. Und hier sitze ich …« Den Blick auf den makellos blauen Himmel gerichtet, stand Nutzlos geschmeidig auf und stellte sich ans Gitter. Er streckte einen Finger aus, bis ein tiefes Summen darauf hindeutete, dass der machtvolle Bann ausgelöst worden war. »Vollkommen nutzlos.« Beiläufig untersuchte er seine Fingerspitze.
Strell, der noch immer
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