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alle luegen

Titel: alle luegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Castaldo
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ließ Hangerman in der Bar sitzen, kam hierher zurück, rannte zu Christian und ging auf ihn los. Von wegen, Ehre verteidigen und so.« Jacob zuckte die Achseln. »Dieser Typ, Christian, hatte ein ziemlich reges gesellschaftliches Leben. Zwischen Dealen und Designen hatte er eine Menge ... Freunde. Vielleicht haben sie sich gestritten, bis Jan ausgerastet ist und ihm einen übergebraten hat. Christian kracht gegen die Wand und - Bang! - das war’s.« Er sah mich mit seinen dunklen Augen an.
    Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Aber ich brachte nichts hervor. Mir war speiübel; ich spürte, wie mir bittere Galle die Kehle hinaufstieg.
    »Lieber Himmel«, rief er und sprang von der Couch. »Sie sind ja kalkweiß.«
    Aber ich hörte nicht wirklich zu. Ich befand mich im Niemandsland, an einem Ort, wo nichts vertraut aussah und niemand meine Sprache sprach. Jan hatte mich dort zurückgelassen. Und Christian und Kyle ebenfalls. Ich war von Lügnern umgeben. Jacob musste mir ein Glas Wasser gebracht haben, denn plötzlich hielt ich eins in der Hand. »Wir werden ihn schon erwischen«, sagte er, während er meine Schulter knetete, um sicherzustellen, dass ich noch lebte. »Ich komme später noch mal bei Ihnen vorbei. Falls er angerufen hat.«
    Ich nickte. Obwohl ich ihn kaum gehört hatte.
    »Es tut mir wirklich Leid«, sagte Jacob noch.
    Ich hörte, wie er zur Tür marschierte. »Schließen Sie hinter mir ab«, bat er. »Und sehen Sie zu, dass Sie ein bisschen Schlaf kriegen. Sie sehen furchtbar aus.« Und dann war er weg.
    Zum ersten Mal seit zwei Monaten war ich allein. Ich ging ins Bad, beugte mich übers Klo und übergab mich. Es kam nicht viel - nur ein paar Schlieren verwässerten Kaffee. Ich hatte nichts zu Abend gegessen. Schließlich erhob ich mich mühsam und gurgelte mit Mundwasser. Im Spiegel sah ich ein Schattengesicht mit einer Haut wie Hühnerfleisch. Meine Augen waren geschwollen und rot gerändert. Meine Lippen hatten den pinkfarbenen Ton von Wintertomaten. Ich spritzte mir heißes Wasser ins Gesicht, doch ich spürte es kaum. Dann nahm ich die Halskette ab und warf sie in den Müll. Ich hatte mich von Jan - oder wer immer er war - verführen lassen. Ich fühlte mich betrogen - nicht nur von ihm, sondern vor allem von mir selbst. Jacobs Darstellung kreiste in meinem Kopf Er hatte alle Einzelheiten zusammengefügt, alle Fragen beantwortet, bis auf die eine: Was hätte Christian für Carmi abliefern sollen? Aber das würde ich schon noch selbst herausbekommen. Ich hatte keine Lust, dass Jacob meinen Onkel verhaftete. Und es gab noch etwas, das ich Jacob nicht gefragt hatte: Was, wenn ich mit Jan gegangen wäre? Was wäre aus mir geworden? Ich wollte nicht ernsthaft darüber nachdenken. Eigentlich wollte ich über gar nichts mehr nachdenken.
    Ich öffnete das Medizinschränkchen und holte den Rest der Schlaftabletten heraus, die Jan mir damals besorgt hatte. Ich nahm drei und ging ins Schlafzimmer. Ohne mich mit Ausziehen aufzuhalten, warf ich mich aufs Bett und wartete darauf, dass die Pillen ihren Zauber entwickelten.
    So fühlte sich also ein Nervenzusammenbruch an. Tja, es war gar nicht mal so schlecht. Ich vergrub mein Gesicht im Kissen und glaubte, Jans Geruch wahrnehmen zu können. Das konnte nicht sein, denn ich hatte alles gewaschen. Nichtsdestotrotz wurde mir schon wieder schlecht.
    Ich stemmte mich aus dem Bett hoch und ging zurück ins Wohnzimmer. Wenn ich genügend Kraft gehabt hätte, wäre ich spazieren gegangen. Stattdessen öffnete ich das Fenster und guckte raus. Die Winterluft war beißend; die Straße sah genauso aus wie an dem Abend, als ich angekommen war. Gut zu wissen, dass manche Dinge sich nicht geändert hatten. Ich fühlte mich etwas besser. Ich war froh, dass ich jetzt abreisen konnte. Bald würde ich nach Kalifornien zurückfliegen und all das hier hinter mir lassen.
    In der Ferne sah ich das Empire State Building, das wie eine Nadel in den Abendhimmel stach. Ich sog die kalte Abendluft tief in mich ein. Sie vereiste meine Lungen und ließ meine Nase laufen. Trotzdem blieb ich am Fenster stehen und beobachtete die Straße unter mir, sah zu, wie das Leben weiterging.
    Endlich fingen die Tabletten an zu wirken. Ich konnte nicht länger aufrecht stehen. Ich schloss das Fenster und rollte mich, fest eingewickelt in einen zerschlissenen Kaftan, in Carmis Sessel zusammen. Bald tauchte ich in einen narkoseähnlichen Schlaf ab.
    Das Schrillen des Telefons weckte mich. Ich hatte

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