Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
alten Haus vorüberzuspazieren, mir bei Spar eine Flasche Cola zu kaufen und die auf dem Abhang hinterm Sportplatz auszusaufen, mit offener Sicht auf das Rheintal.
Hier war ich irgendwann mal eingetopft und dann wieder ausgetopft worden, und nun saß ich da wie ein Zaungast oder wie ein oller Opi, der die Stätten seiner Kindheit besucht, am guten alten Vater Rhein ...
Aber wieso Vater? Und wieso gut? Alt, das kam hin, denn der Rhein hatte sich sein Flußbett schon vor Jahrmillionen gegraben, aber es waren auch viele Schiffer da unten abgesoffen, und wenn der Rhein nun immer wieder die Hobbykeller der Anlieger überschwemmte ...
Zu Mittag gab’s bei Gerlachs gedünsteten Schellfisch, wovon mir so übel wurde wie schon seit langem nicht mehr, und danach mußten wir noch abtrocknen, aber dann durften wir uns dünnemachen, und wir fuhren mit dem Bus nach Koblenz und kauften uns da noch ’ne Flasche Cola und gingen ins Kino, in einen Film namens »Strandhotel«, der so saublöde war, daß mir der Schellfisch fast wieder herausgekommen wäre.
»Mit uns kann man’s ja machen«, sagte Michael.
Nach diesem mißlungenen Ausflug wollte ich gern noch zur Horchheimer Höhe hochfahren, mit dem Bus, um meinem verflossenen Vorschulfreund Uwe Strack Guten Tag zu sagen. Irgendwann mußte das einfach mal sein.
Michael war von dieser Idee nicht sonderlich angetan, und er hielt sich im Hintergrund, als ich an Stracks Haustür klingelte.
Uwes Mutter öffnete die Tür und stutzte kurz, bevor sie ausrief: »Ach nee, dat Machtinsche! Uwe, komma schnell her!«
Im Hauseingang erschien dann auch Uwe, mit einem Oberkörper wie Meister Proper, und wir gafften uns an.
»Hey, Martin« sagte Uwe und grinste. »Mal wieder in der alten Heimat?«
»Ja, aber nur auf Durchreise«, sagte ich.
Wo ich denn jetzt wohnte, wollte Frau Strack wissen, und wie es meinen Eltern gehe und meinen Geschwistern, und ich sagte es ihr, und das war’s.
Das müsse ja wohl ein ganz toller alter Freund sein, wenn der mich nicht einmal hereingebeten habe, sagte Michael. »Und jetzt ist noch die Frage offen, wie wir auf den Mallendarer Berg zurückkommen.«
Wir versuchten es per Anhalter, doch das klappte nicht. Also nahmen wir den nächsten Bus zurück zum Koblenzer Bahnhof. Dort stand bereits der nächste Bus bereit, der nach Vallendar fuhr, und wir galoppierten los.
»Der wartet nicht«, schrie Michael, »und schon gar nicht auf uns!«
Wir rannten wie die Irren. Dabei rissen die Henkel meiner Plastiktüte, und die halbvolle Colaflasche krachte zu Boden und ging kaputt, und danach mußten wir vorm Einsteigen noch mehrere Minuten schwitzend in der Schlange warten und darauf gefaßt sein, daß uns jemand zur Rede stellte, weil wir die Scherben einfach liegengelassen hatten, um den Bus nicht zu verpassen.
Den ganzen Streß hätten wir uns sparen können, wenn wir schon an der Rheinbrücke ausgestiegen wären und dort auf den anderen Bus gewartet hätten, aber das fiel uns erst auf, als wir an diesem Tag zum vierten Male im Bus den Rhein überquerten.
Ein einziger Scheiß, dieser Nachmittag.
Wenigstens besaß Michael eine Kassette mit Songs von den Beatles und einen halbwegs brauchbaren Rekorder, bei dem nur die Pausentaste klemmte.
… quietly turning the backdoor key
stepping outside she is free ...
Da ging es um ein Mädchen, das von zuhause auskniff. Einfach abhauen: Das hätte ich auch gern getan, nur wohin? Im Mittelalter oder in der frühen Neuzeit, als es noch keine Personalausweise gegeben hatte und keine Rasterfahndung, da wäre das einfacher gewesen. Aber dafür hätten sich wieder ganz andere Schwierigkeiten ergeben für einen mittellosen sechzehnjährigen Wandersmann. Wölfe, Räuber, Hunger, Pest ... in einer Schenke hätte ich damals vielleicht anheuern können, als Kellner ... oder als Malergeselle bei Leonardo da Vinci. Obwohl, das war ja auch so’n Heimwerker gewesen, der Tag und Nacht Flugapparate und U-Boote entworfen hatte.
In dem Lied von den Beatles heulte die verlassene Mutter Rotz und Wasser:
Why should she treat us so thoughtlessly
how could she do this to me ...
Eltern, die an ihren Kindern hingen.
Am Sonntagmorgen brachen Michael und ich zu einer Wanderung in Richtung Simmern und Neuhäusel auf. Reichlich kalt war’s, leider, und wir hatten, wie wir nach einigen Kilometern merkten, alle beide nicht genug gefrühstückt. Gegen Mittag kamen wir an einem Restaurant an, vor dem ein Schild mit der Aufschrift
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