Allmen und der rosa Diamant
Vorgeschmack. Beides sprach für den rosa Diamanten. Er - oder die Bande, der er angehörte - hatte den Diamanten noch nicht zu Geld gemacht. Sokolow genoss seinen Reichtum auf Vorschuss. Die Villa in der Spätbergstraße, die Haushälterin, die Suite im Grand Duc, alles im Hinblick auf den kommenden Geldsegen. Mit Geborgtem. Oder vielleicht Erspartem.
Diese Seelenverwandtschaft - von Geld, das man nicht hatte, auf großem Fuß zu leben - machte ihm Sokolow ein wenig sympathisch. Und ließ ihn daran zweifeln, dass er es tatsächlich mit einem Kriminellen zu tun hatte. Dass ein Computerfreak einen Diamanten im Wert von fünfundvierzig Millionen klaute, konnte er sich noch knapp vorstellen. Aber der Stein war bei einer Party des milliardenschweren Besitzers abhandengekommen. Wie sollte einer wie Sokolow Zugang zu diesen Kreisen erhalten?
Doch vielleicht war er gar nicht dabei gewesen. Es war unwahrscheinlich, dass hinter einem Coup von solchem Ausmaß ein Einzeltäter steckte. Viel eher war er das Werk einer Bande. Und Sokolow lediglich ein Mitglied. Vielleicht das Hirn? Vielleicht das Computergenie?
Allmen musste sich Zugang zu Sokolows Suite verschaffen. Vielleicht fand sich dort ein Hinweis. Und sei es ein entlastender.
Er trank sein Bier aus, putzte noch einmal die Zähne und warf einen letzten Blick auf das nächtliche Meer.
Ganz weit draußen zog ein Kreuzfahrtschiff vorbei. Ein filigranes Gebilde aus Licht.
10
Die fast blaue Wolkendecke am Horizont sah aus wie eine Uferlandschaft. Als säße Allmen an einem großen, friedlichen See und die Segelschiffe zögen vor dem gegenüberliegenden Ufer vorbei.
Das Aufstehen war ihm noch etwas schwerer gefallen als sonst. Sein Hirn war verklebt. So empfand er den Zustand nach zu wenig Schlaf und zu viel Alkohol. Ein kurzes Bad in der kühlen Ostsee hatte ihn ein wenig erfrischt, aber jetzt, wo das Salzwasser auf der Haut getrocknet war, fühlte sich der ganze Körper klebrig an. Er war zu faul, die paar Schritte zur Dusche zu gehen, die in der Nähe der Strandbar stand.
Sokolows Strandkorb war leer. Ihm ging es offenbar nicht besser als Allmen. Aber Vanessa und ihr Begleiter waren da. Er wie immer in seine Geschäfte vertieft. Aber sie lag nicht wie sonst im Sand, sondern ging am Strand auf und ab, einen bunten Kindereimer in der Hand und den Blick unverwandt auf den Boden gerichtet. Ab und zu bückte sie sich nach einer Muschel, studierte sie und warf das Fundstück entweder zurück in den Sand oder in den Eimer.
Sie trug wieder das tief ausgeschnittene Kleid mit viel Grün und den Schal, der ihre empfindliche Haut vor der Sonne schützte. Dazu einen großen Strohhut.
Allmen blickte immer wieder von seinem Buch auf und sah zu ihr hinüber. Sie tat, als sei sie völlig absorbiert von ihrer Muschelsuche und bemerke ihn nicht. Jedes Mal, wenn Allmen zu ihr hinsah, war sie ein Stück näher gerückt.
Beim nächsten Mal fiel es ihm nicht so leicht, den Blick wieder abzuwenden: Vanessa stand ein paar Meter entfernt vor ihm, vornübergebeugt. Der Schal hatte sich geöffnet, und ihr Dekollete ließ einen tiefen Einblick zu. Eine kleine Ewigkeit stand sie so da, dann kauerte sie sich nieder. Ihre Knie verbargen nun den Ausschnitt, aber das Kleid war über die Schenkel gerutscht. Es war nicht zu übersehen, dass sie nichts darunter trug.
Plötzlich schaute sie auf und sah ihm in die Augen. Allmen wandte den Blick seinem Buch zu, aber er spürte, dass sie ihn ansah. Er sah wieder auf. Sie kauerte immer noch unverändert in derselben Stellung, doch jetzt lächelte sie herausfordernd. Er lächelte zurück und richtete seinen Blick etwas tiefer.
So verharrten sie beide für einen Augenblick.
»Vanessa!«
Es war die Stimme ihres Begleiters. Sie richtete sich auf, ohne Eile, und ging.
In diesem Moment kam Sokolow. Allmen wusste nicht, ob er die Szene beobachtet hatte. Falls ja, ließ er sich nichts anmerken. Er begrüßte ihn, begann, seinen Strandkorb herzurichten, drehte ihn Allmen zu und setzte sich. »Geht es Ihnen auch so wie mir?«
»Das Meer. Das Meer hilft.«
»Was mir manchmal hilft, ist die Sauna.«
Allmen verzog das Gesicht. »Die macht es bei mir nur schlimmer.«
Sokolow wandte sich seinem Laptop zu und Allmen seiner Lektüre. Helene von Nostitz, Aus dem alten Europa, ein Buch, wie geschaffen für diesen Ort.
Aber er konnte sich nicht auf die Vergangenheit konzentrieren. Die Gegenwart beschäftigte ihn viel zu sehr. Vor allem die Frage, wie er an
Weitere Kostenlose Bücher