Allmen und der rosa Diamant
und hielt schließlich vor einem der gesichtslosen fünfstöckigen Blöcke. Auf den winzigen Balkons standen Satellitenschüsseln, in den Fenstern flackerte bläuliches Fernsehlicht.
Don Gregorio führte sie zum Hauseingang, schloss auf und ging ihnen voraus. Im Treppenhaus vermischten sich unterschiedliche Küchengerüche. In den Wohnungen, an denen sie vorbeikamen, kläfften kleine Hunde.
Im vierten Stock stellte er Allmens Koffer ab und klingelte in einem eigenartigen Rhythmus.
Sofort ging die Tür auf. Ein Mann, auch er ein mittelamerikanischer Indígena, begrüßte sie stumm und ließ sie ein.
Die Wohnung war niedrig, die Dispersionsfarbe, mit der man ihre Tapeten überstrichen hatte, war mit den Jahren gelb geworden. Es roch nach Zigaretten und Essen.
Don Gregorio führte sie durch den schmalen Korridor. In der Küche sah Allmen ein paar Männer um einen Tisch sitzen. Sie redeten mit gedämpften Stimmen und verstummten, als die Neuankömmlinge vorbeigingen.
Im nächsten Zimmer lief ein spanischsprachiger Fernsehsender, Allmen erhaschte einen Blick auf ein Bett, das vier Männern als Sofa diente.
Die nächste Tür war geschlossen. Ein Schild hing daran, auf dem »Ocupado« stand. Ihr Gastgeber zeigte darauf. »El bano«, erklärte er. Die Toilette.
Er öffnete die Tür daneben, und sie betraten einen kleinen Raum. Er war möbliert mit einem Tisch und zwei Stühlen, einem Bett, einem Schrank und einem Kajütenbett. An den Wänden hingen Poster von Tourismuszielen in Guatemala, El Salvador und Nicaragua.
»Bienvenidos«, wünschte Don Gregorio, stellte die Koffer ab und entschuldigte sich.
Allmen und Carlos packten aus und besprachen ihren Plan. Kurz nach Mitternacht legten sie sich schlafen.
20
Seit seiner Zeit im Charterhouse hatte Allmen nie mehr ein Zimmer mit einem Mann geteilt. Und die Zimmer im Charterhouse waren um einiges geräumiger gewesen als dieses hier.
Dass sie das Einzelbett als Sofa benutzen würden, war angesichts der Platzverhältnisse von Anfang an klar gewesen. Carlos hatte ihm beim Kajütenbett die Wahl überlassen. Allmen entschied sich für das obere, weil er sich dort mehr Privatsphäre erhoffte. Mit Kajütenbetten besaß er keine Erfahrung.
Schlimmer als das gemeinsame Schlafzimmer mit einem Mann war für Allmen, Bad und Toilette mit - wie sich herausstellte - acht Männern zu teilen. Es sollte für ihn die größte Motivation der kommenden Tage werden, diesen Umstand so rasch wie möglich zu beenden.
Allmen, sonst ein hervorragender Schläfer, hatte eine schlechte Nacht hinter sich. Erst hatte er wach gelegen, bis es still geworden war in der Wohnung und er in aller Ruhe und Ungestörtheit seine Abendtoilette verrichten konnte. Dann aber konnte er sich lange nicht überwinden herunterzusteigen, weil er sich vorstellte, was für ein unvorteilhaftes Bild er Carlos dabei bieten würde, falls dieser noch wach war. Und als er es endlich geschafft hatte und wieder oben lag, begann Carlos zu schnarchen. Es war weniger das Schnarchen, das ihn wach hielt, als das neuerworbene Wissen darum, dass sein Diener schnarchte.
Er war erst eingeschlafen, als zwischen den defekten Jalousien schon der Morgen zu grauen begann. Als er erwachte, war es hell, und Carlos’ Bett war leer.
Allmen wartete eine Weile, suchte schließlich das Bad auf und verließ es wieder erfrischt. Er wurde von einem jungen Nicaraguaner mit Kaffee erwartet. Don Carlos habe ihn gebeten, für ihn Frühstück bereitzuhalten.
Allmen brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es Leute gab, die Carlos »Don Carlos« nannten. Er bedankte sich und folgte dem Mann, der sich als Gustavo vorstellte, in die Küche. Dort wartete ein leider schon erkaltetes huevo ranchero auf ihn, Spiegelei mit einer scharf gewürzten Tomatensauce. Gustavo schaltete die Herdplatte ein, auf der zwei schneeweiße Industriebrotscheiben lagen, bot Allmen einen Stuhl am Küchentisch an und schenkte ihm einen Americano ein, einen schwarzen Filterkaffee aus der Kaffeemaschine. Als es nach verbranntem Brot zu riechen begann, wendete der Nicaraguaner die Toasts auf der Herdplatte.
Nach dem Frühstück wusste Allmen mehr über seine Wohnungsgenossen. Don Gregorio war hier der einzige Legale. Er war der Mieter, er hatte einen formellen Asylbewerberstatus und eine legale Arbeit als Reinigungskraft bei einem Großverteiler.
Alle anderen waren Sans-Papiers, Immigranten, die keine Papiere besaßen oder zu besitzen vorgaben. Sie alle waren
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