Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition)
die Tour dann zu Ende und mein Terminkalender immer noch voll. Es ließ einfach nicht nach – ein Termin jagte den nächsten und ich war in eine Welt geraten, die ich eigentlich gar nicht kannte. Bis dahin war mein Leben im Grunde recht beschaulich verlaufen: Neue Platte, ein paar Interviews für Szene-Publikationen, Tour und danach Ruhe. Diese Zeiten schienen nun tatsächlich vorbei zu sein.
Ich hatte überhaupt keine Möglichkeit, das bis dahin Erlebte in irgendeiner Form zu begreifen oder aufzuarbeiten. Ich kam mir vor, wie ein kleiner Junge, der in die Großstadt kommt – die vielen Lichter sieht – und eigentlich gar nichts mehr versteht. Für mich kamen die vielen Lichter vor allem von den Blitzen der Kameras. Wo immer ich hinkam, standen Journalisten und Fotoreporter bereit, die mich umzingelten, ihre Mikrofone und Aufnahmegeräte hinhielten und die Objektive der Kameras auf mich richteten. Ich war überwältigt und überfordert zugleich, ahnte aber zu dieser Zeit noch nicht, dass diese Lichter der Stadt einmal zum Konzept meines neuen Albums werden könnten.
Währenddessen ging es immer weiter und weiter. Der Videodreh für »Für immer« stand an. Ein Film, der Berlin bei Nacht darstellen sollte und sehr aufwendig zu drehen war. Gleichzeitig standen wir aber auch noch unter dem Druck, im Studio ein Radio-Edit für »Für immer« zu produzieren, was komplizierter ist, als man vielleicht annehmen würde.
Bei den Radioversionen der Album-Stücke gilt es, ein absolut genaues Timing zu berücksichtigen. Dabei geht es nicht nur um die exakte Länge eines Liedes, sondern auch darum, ob der Rhythmus früh genug einsetzt und das Stück – obwohl es gekürzt ist – noch immer eine Einheit darstellt. Es ist nicht damit getan, hinten oder in der Mitte einfach eine Minute abzuschneiden, schließlich soll das Konzept und der Aufbau eines Stückes in gekürzter Form weiter erhalten bleiben.
Die Radiostationen selbst achten bei der Bewertung eines neuen Liedes ganz genau darauf, ob alle Vorgaben eingehalten werden. Für die Sender ist es schwer genug, neue Titel in ihren Playlists einzuführen, und wenn sie auch nur ansatzweise feststellen können, dass dieses Stück ein sogenannter »Abschalter« ist, fliegt das Lied schneller wieder raus, als man denken mag.
Dann hieß es plötzlich, Unheilig hätten einen fast ewig währenden Rekord von Herbert Grönemeyer gebrochen, was erneut zu einem unglaublichen medialen Aufschlag führte. Die Große Freiheit war nun insgesamt 23 Wochen auf der eins in den deutschen Album-Charts und kein Mensch hätte vermutet, dass im Internet- und Download-Zeitalter je noch einmal ein Künstler den alten Chart-Rekord von Herbert Grönemeyer brechen könnte. Aber am Ende hielten wir sieben Mal Platin in unseren Händen, und das war nun wirklich etwas, was wir kaum noch begreifen konnten.
Mit dem Erfolg wuchs natürlich auch die Kritik. In den Szene-Magazinen und Internetforen wurde immer heftiger darüber diskutiert, ob ich denn nun ein »Verräter« sei und all mein Schaffen nur noch auf den Kommerz ausrichten würde. Ich weiß bis heute nicht, was ich auf diese Behauptungen erwidern soll. Ich frage mich nur immer mal wieder, ob man tatsächlich nur ein guter Musiker sein kann, wenn man zeitlebens verkannt wurde. Und was ist dann mit den ganzen Mega-Bands wie den Beatles oder den Stones? Schlecht? Verrat? Müll für die Massen?
Das BenefizKonzert
Ich hatte ja – noch deutlich vor dem völlig unerwarteten Riesenerfolg von Große Freiheit – mit Wera Röttgering von »Herzenswünsche« ein Benefizkonzert auf einem Rheinschiff vor der Loreley vereinbart und dieses Event, auf das wir uns alle schon seit Monaten gefreut hatten, stand nun endlich an. Die 800 Karten waren schnell ausverkauft und ich war sehr froh, endlich mal wieder das zu machen, was ich am meisten liebte: auf einer Bühne stehen, vor Menschen spielen und unmittelbar ein Feedback für mein Schaffen zu bekommen. All das, was Livekonzerte so absolut einzigartig machte.
Im Vorfeld hatte ich häufig darüber nachgedacht, wer denn nun zu diesem Konzert kommen würde. Die Menschen, die mit »Geboren um zu leben« auf Unheilig aufmerksam geworden waren, oder vielleicht doch auch die alten Fans, die mir seit Jahren die Treue gehalten hatten? Die Stimmung im Internet war ja nun dergestalt, dass man fast annehmen musste, so gut wie alle alten Fans hätten sich mit der Großen Freiheit von Unheilig abgewandt. Eine
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