Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
Kernarbeitszeit unabkömmlich ist, dafür aber ab dem späten Nachmittag bis zum frühen Morgen einsetzbar. Ein Papa, der morgens, nach Kaffee und Deo duftend, das Haus verlässt, Freundin und Kind Nasenküsschen verpasst und anschließend für den Rest des Tages in einem Büro verschwindet. Dort verrichtet er allerlei wichtige Tätigkeiten, die ihn aus Familienperspektive unbrauchbar machen für Obliegenheiten des täglichen Bedarfs. Sophie zur Tagesmutter bringen zum Beispiel ebenso wie Sophie von der Tagesmutter abholen. Mit Sophie laufen üben im innerstädtischen Bereich, sich mit ihr in einen Buddelkasten setzen oder ihr mal schnell auf einer Parkbank diskret die übergelaufene Windel wechseln. Sophie den Schnodder von der Nase wischen, ihr ein Pfirsich-mit-Vollkorn-Gläschen reinlöffeln oder den Einkauf fürs Abendessen erledigen. So was.
Und weil ich das alles weiß, lade ich heute die Kleinfamilie ins Restaurant ein. Sollen doch einfach mal andere kochen, Mutti zahlt. Hanna, Sophie und ich stehen also kurz nach fünf vor dem Bürogebäude, in dem Oscar seit Wochen allmorgendlich verschwindet – dann kommt er raus, und wir steuern gemeinsam den Leipziger Ratskeller an, um dort ein frühes Abendessen zu ordern. Das Restaurant ist weitläufig und um diese Uhrzeit noch relativ leer. Wir bekommen vom freundlichen Kellner einen etwas abseits gelegenen Tisch in der Ecke, wo die junge Familie sich und alles Weitere ausbreiten kann, was so ein Besuch im gastronomischen Bereich erfordert. Den Hochstuhl für Sophie trägt der Kellner herbei, Sophies Flasche, die Kekse, den Latz und ein Pappbuch holen ihre Eltern aus dem Kinderwagen. Der steht nun wie ein rotes Alumahnmal direkt neben unserem Tisch.
Wieder einmal frage ich mich, wie schlecht diese Welt doch sein muss, in der Eltern gezwungen zu sein scheinen, den Fahruntersatz ihres Kindes sogar in Restauranträume mitzunehmen. Als Hanna Ende der Achtzigerjahre geboren wurde, stellte ich ihren Kinderwagen sorglos vor jedem Geschäft ab – inklusive Kind wohlgemerkt. Bremse treten und rein in den Wochenendeinkauf! Als dann Mitte der Neunzigerjahre ihre Schwester Kira da war, ließ ich den Wagen immer noch stehen – mittlerweile sicherte ich ihn aber mit einem Fahrradschloss und nahm das Baby mit hinein in die bunte Warenwelt. Heute, zwanzig Jahre später, verrammeln ganze Buggy-Armadas die Türen und Gänge von Geschäften, Cafés und Restaurants. Nie, niemals würde der Nachwuchs irgendwo achtlos vor Supermärkten abgestellt, das verstehe ich ja. Aber warum mittlerweile ein wuchtiger Kinderwagen als ständiger Begleiter selbst in engsten Räumlichkeiten gilt, das will sich mir nicht erschließen.
Ähnlich verhält es sich mit der Frage, warum Kinder eigentlich überallhin mitgenommen werden müssen. Haben Babys Spaß daran, mit ihren Eltern Zeit in eng bestuhlten Gasthausstuben zu verbringen? Schmeckt Erziehungsberechtigten überhaupt ihr Essen, wenn sie den teuer bezahlten Gastronomieausflug mit einem Kind im Hochstuhl oder auf ihrem Schoß verbringen, wo es wahlweise probieren möchte, Fläschchen nuckelt oder Pipi muss, während Mama mit der linken Hand ziemlich gehindert in einem liebevoll zubereiteten Gericht herumstochert? Ist es Eltern überhaupt möglich, sich auf eine irgendwie erwachsene Weise zu unterhalten, wenn Klein Anna/Benno/Julius die ganze Zeit dazwischenquakt und dabei das Kindergericht auf dem Kinderteller zu kleinen grauen Klümpchen verarbeitet?
Die Antwort lautet: Ja, manchmal. Hin und wieder ist es einfach praktischer, jemand anderen Essen kochen und servieren zu lassen, als zu Hause in den taghell erleuchteten, leeren Kühlschrank zu starren und sich darüber zu streiten, wer verdammt noch mal die letzte Ecke Gouda verputzt hat. Oder man verfügt über eine zahlende Kindsoma, die meint, den Kindseltern eine Freude zu machen, indem sie sie in den örtlichen Ratskeller schleppt.
Sophie meistert ihre spätnachmittägliche Restaurantherausforderung recht gut. Meist sitzt sie stolz wie Bolle im Hochstuhl, lässt sich von Hanna, Oscar oder mir Brot- oder Kartoffelstückchen reichen und ist insgesamt ganz froh, solange jemand zuverlässig einen Erwachsenenfinger zur Verfügung stellt, an dem sie sich festklammern kann. Erst gegen Ende der Mahlzeit wird sie unruhig. Einer von uns muss nun das Essen kalt werden lassen und mit ihr den Gastraum erkunden. Ich als Alterspräsidentin bin das zum Glück nicht. In ihren Stoppersocken keult Sophie
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