Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde
träumte, waren ihre Träume ganz anders als bisher: Sie ging in Stavans Richtung, um sich gleich darauf abrupt von ihm abzuwenden und davonzulaufen, so schnell sie konnte, und er rannte ihr nach, während er wieder und wieder ihren Namen rief. Plötzlich galoppierte ein bewaffneter Krieger auf sie zu, ritt sie um und zerrte sie an den Haaren hoch. Er zog sie auf sein Pferd, während er auf Stavan zeigte und zu wissen verlangte, woher Stavan sie kenne.
»Ich habe keine Ahnung«, schrie Marrah. »Ich habe ihn noch nie im Leben gesehen! « Manchmal glaubte ihr der Krieger und ließ sie gehen; häufiger jedoch glaubte er ihr nicht. Zum Glück konnte sich Marrah beim Aufwachen nie daran erinnern, was als nächstes in ihrem Traum passiert war.
Eine weitere Woche verging, und als sie weiter und weiter gen Osten ritten, begann Marrah zu verstehen, warum Dalish niemals hatte fliehen können. Ein Tag glich so sehr dem anderen, daß man sie kaum unterscheiden konnte. Das flache Land erstreckte sich endlos in alle Richtungen, bis man verloren war ohne einen Fluß, dem man hätte folgen können, oder ein einziges Wahrzeichen, das als Orientierungshilfe gedient hätte. Dalish behauptete jedoch, die Nomaden folgten uralten Pfaden. »Nur Krieger sind dazu ausgebildet, sie zu sehen«, sagte sie. Sie zeigte auf ein Labyrinth kleiner Tierspuren, die sich durch das Gras schlängelten. »Du und ich sehen nur Verwirrung, aber die Krieger orientieren sich an der Sonne und den Sternen und behaupten, sie könnten verschiedene Gebiete völlig gleich aussehenden Landes unterscheiden. Ich glaube, sie haben eine Art siebten Sinn, der den Menschen, die in weniger rauhen Ländern geboren werden, fehlt.«
Dalish mußte richtig vermutet haben, denn eines Tages gegen Ende des Sommers trafen sie plötzlich auf ein Dutzend Lederzelte, wahllos am Ufer eines Baches verstreut, der so schmal aussah, als würde sein Wasser kaum einen Becher füllen. Eine Herde von Stuten, langhaarigen Schafen und fetten Rindern graste in der Nähe, bewacht von kleinen Jungen und Hunden. Alte Männer dösten in der Nachmittagssonne, und schweigsame, in braune Schals gehüllte Frauen beugten sich über Kochfeuer.
»Slehans Lager«, sagte Dalish und deutete auf die Zelte. »Mein Zuhause in den letzten sieben Jahren. Na, wie gefällt es euch? Wie findet ihr es im Vergleich zu den Tempeln von Shara und den großen Städten am Rauchfluß ?« Sie spuckte verbittert auf den Boden. »In meinem Heimatdorf war ich Priesterin und habe der Vogelgöttin gedient. Hier sammle ich getrocknete Kuhscheiße für die Feuer, schleppe Wasser und bumse mit Slehan, und seine vier Ehefrauen sind so eifersüchtig auf mich, daß sie einmal tatsächlich lange genug aufgehört haben, sich zu zanken, um eine giftige Viper in mein Bett zu schmuggeln.«
Sie blickte in Marrahs erschrockenes Gesicht. »Du wirst es hier verdammt schwer haben. Die Frauen bekämpfen sich gegenseitig, aber du bist nicht von der Sorte. Du und dein Bruder seid beide zu weichherzig. Ich glaube nicht, daß du es schaffen wirst.« Damit ritt sie ohne einen Blick zurück davon.
Marrah, die sich verraten und beleidigt fühlte von der einen Person, zu der sie Vertrauen gefaßt hatte, ritt kochend var Wut in das Lager hinein; sie funkelte jedermann böse an und schwang sich dann von ihrem Pferd wie eine Frau, die sich noch keinen Tag in ihrem Leben vor irgend etwas gefürchtet hatte, was wieder einmal genau das war, was Dalish bezweckt hatte.
Sie blieben eine Nacht in Slehans Lager, nicht lange genug, um mehr zu erfahren, als daß die Nomaden ihr Essen gekocht statt roh verzehrten, wenn ihre Ehefrauen anwesend waren. Die Sklavinnen wurden in einen mit Dornenbüschen umzäunten Korral getrieben, und zum ersten Mal seit Wochen hörten die nächtlichen Vergewaltigungen auf, vermutlich deshalb, weil die Krieger jetzt mit den Frauen beschäftigt waren, die sie zurückgelassen hatten. Marrah und Arang bekamen ein kleines Zelt für sich allein, mit weichen Teppichen ausgelegt, die überraschend behaglich waren, aber wann immer sie zur Zeltklappe herausspähten, sahen sie einen bewaffneten Krieger davorstehen, der sie bewachte.
Gegen Abend brachten ihnen zwei alte Frauen gebratenes Hammelfleisch, einen Krug seltsam schmeckender Milch und einen Haufen gerösteter Zwiebelknollen, die Marrah an Lilien erinnerten. Alles wurde in Körben transportiert und auf Stücke von Leder gelegt, als besäßen sie kein Tongeschirr, was tatsächlich
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