Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
Vom Netzwerk:
Woge des Ekels ging durch ihren Körper. Als sie sich wieder soweit erholt hatte, um die Augen zu öffnen, hielt Zuhan die Kette und begutachtete sie von allen Seiten. Er schien erfreut. Vielleicht dachte er, daß es leicht wäre, weitere Schätze an einem Ort zu erbeuten, wo so viele Männer von so wenigen überwältigt werden konnten.
    Endlich wurde es Zuhan überdrüssig, Slehans Kette zu bewundern. Er wedelte mit der Hand, während er die Sklavinnen aufteilte – fünf für Slehan, zweifellos als Belohnung für einen so großen Sieg; vier für verschiedene Krieger, die ihm einen speziellen Dienst erwiesen haben mußten. Die Frauen gingen weinend davon. Nachdem die Sklavinnen abgeführt worden waren, bedeutete Zuhan Akoah mit einer Geste, hinter ihm zu stehen. Später erfuhr Marrah, daß dies bedeutete, daß er sie zu seiner Konkubine gemacht hatte.
    Wieder begannen die Trommeln zu dröhnen, aber dieses Mal war der Rhythmus langsamer: sehr regelmäßig und fast hypnotisch. Der Klang der Trommeln schwoll an und wieder ab wie Wellen, die gegen einen Strand schlagen, und die Frauen um Marrah bewegten sich jetzt träger. Es war klar, daß viele von ihnen inzwischen in einen tranceähnlichen Zustand versunken waren, aber nicht die Art von Trance, die Priesterinnen erlebten. Als Marrah sich nach rechts und links umschaute, sah sie, daß ihre Lippen leicht geöffnet waren und ihre Augen einen blicklosen, träumerischen Ausdruck hatten, als warteten sie auf einen imaginären Liebhaber, der niemals kommen würde.
    Aber in diesem Punkt irrte sie sich. Die Hansi-Frauen wußten genau, auf wen sie warteten, und er war alles andere als imaginär. Plötzlich brachen die Trommeln wieder ab, die Menge teilte sich, und sie sah, wie eine kleine Pferdeherde herbeigeführt wurde von fünf derart absonderlich aussehenden Männern, wie Marrah sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie waren vom Kopf bis zu den Zehenspitzen mit blutroter Farbe bemalt, und ihr langes Haar stand steif in alle Richtungen von ihrem Kopf ab, wie Heiligenscheine aus Feuer. Ihre Kostümierung sollte offenbar die Sonne darstellen, während der Mann, der ihnen folgte, eindeutig einen Blitz symbolisierte. Sein Gesicht war mit weißen Regenzeichen bemalt, und sein Körper war schwarz bis auf einen zackigen weißen Blitzstrahl, der von seiner linken Schulter bis zu seiner Hüfte verlief. Als er näherkam, erkannte Marrah, daß der Blitz über eine lange, häßliche Narbe gemalt war.
    Obwohl der Mann Narben hatte, war er in keiner Weise verkrüppelt, und er schritt mit stolz erhobenem Kopf an den Nomaden vorbei, die sich vor ihm verneigten, als wäre er eine Reinkarnation der Göttin. Sein seltsam keilförmiges Gesicht, die schmalen grünen Augen und die kleine Nase verliehen ihm ein wölfisches Aussehen und machten es unmöglich, sein Alter zu schätzen. Er hätte dreißig oder auch fünfzig oder sogar siebzig Jahre alt sein können, aber wenn er ein alter Mann war, so hatte er den Körper eines jungen: Muskeln wie Stahl und lange, grausam aussehende Hände.
    Als er näher in Marrahs Richtung kam, hörte sie die Frauen um sich herum ehrfurchtsvoll »Changar« flüstern.
    Der Hansi-Wahrsager blieb vor Zuhan stehen und machte die kleinstmögliche Verbeugung. Im Grunde war es überhaupt keine Verbeugung, nur ein Kopfnicken, aber Zuhan schien zufrieden. Er nickte ebenfalls, als wollte er ausdrücken: Dieser Mann ist mir fast – aber nicht ganz – ebenbürtig; dann hob er sein pferdeköpfiges Zepter. Sobald die Menge das erhobene Zepter sah, jubelten die Männer laut, und die Frauen begannen zu singen. Die Trommler stimmten einen wilden Rhythmus an, bewegten ihre Hände so schnell dabei, daß es von dort, wo Marrah stand, aussah, als hätte jeder von ihnen zwanzig Finger. Wenn sie gewußt hätte, was als nächstes kam, hätte sie wahrscheinlich versucht, sich wieder in den Hintergrund der Menge zu drängen. Doch so stand sie nur da, halb taub vom Lärm der Trommeln.
    Als sich die Jubelrufe wieder etwas gelegt hatten, wandte sich Changar um und erteilte den Befehl, die Pferde zu ihm zu bringen. Selbst Marrah konnte sehen, daß es ausgesprochen edle Tiere waren: fünf Stuten und fünf junge Hengste, alle kräftig und anmutig, mit glänzendem Fell und Mähnen, in die rote Bänder geflochten waren. Sie trugen Fußfesseln, damit sie nicht davongaloppieren konnten, aber dennoch strahlten sie etwas Wildes und Schönes aus. Sie hatten das Aussehen von Tieren, die niemals gezähmt

Weitere Kostenlose Bücher