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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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bei ihrer Abreise erst wenige Wochen alt gewesen war –, hatte sie sich immer gewünscht, einmal dorthin zurückzukehren.
    Da sie wußte, wie ungeduldig Marrah sein würde, zu der Insel zu kommen, hatte Sabalah sie gewarnt, daß sie möglicherweise mehrere Wochen auf ein Boot warten müßten, das in die richtige Richtung segelte. Auf ihrem Weg nach Westen hatte Sabalah selbst fast einen Monat ausharren müssen, bevor sie eine Gruppe von Händlern fand, die die Überfahrt zum Meer der Grauen Wogen machten, und obwohl die Leute gastfreundlich gewesen waren, war sie die erste, die zugab, daß es ein langweiliger Monat gewesen war.
    Lezentka, so erzählte sie Marrah, gehörte nicht zu den großen Städten der Welt. Sein Hauptanspruch auf Ruhm gründete sich auf die Tatsache, daß es nahe der Mündung des Orugali lag, und obwohl sich einige der Dorfbewohner auf Fernhandel spezialisiert hatten, konnte man es kaum als einen bedeutenden Hafen bezeichnen. Seine Häuser bestanden aus Holz und getrocknetem Schlamm, genau wie die Langhäuser von Xori, nur daß sie kleiner waren, da jedes Haus nur eine Mutterfamilie beherbergte; das Flußwasser hatte einen brackigen Geschmack, der am Gaumen haftete, und es gab kein Göttinnenstandbild oder eine Schwitzhütte, nur einen staubigen Versammlungsplatz und einen hübschen kleinen Tempel, der der Göttin Erde geweiht war, die die Einheimischen in Gestalt einer trächtigen Hirschkuh verehrten.
    »Versuche einfach, dich zu entspannen und den Aufenthalt zu genießen«, hatte Sabalah ihrer Tochter geraten, aber sicherlich hatte sie sich selbst in ihren wildesten Träumen niemals ausgemalt, daß die Warterei derart lange dauern würde, denn wie sich herausstellte, waren die drei gezwungen, nicht nur einen oder vielleicht auch zwei Monate im Dorf der Händler zu verbringen, sondern einen ganzen Winter lang, während sie jeden Morgen aufs neue hofften, ein Boot zu finden, das sie über das Meer nach Gira bringen würde, und jeden Abend aufs neue enttäuscht zu Bett gingen.
    Tatsächlich bestand das Problem nicht darin, daß es keine Boote gab; direkt in Lezentka selbst stand ein halbes Dutzend kleinerer Boote zur Verfügung, aber wie die Boote des Küstenvolks, so waren auch sie nicht seetüchtig, sondern nur dafür konstruiert, um dicht an der Küste entlangzufahren, wobei sie immer in Sichtweite des Festlands blieben und beim ersten Anzeichen von schlechtem Wetter oder Sturm wieder umkehrten. Gira lag weit außerhalb des Aktionsradius eines dieser Boote, eine mehrtägige Schiffsreise übers offene Meer entfernt. Nur die kühnsten Händler wagten die Überfahrt, während sie auf den Schutz der Göttin vertrauten und nach den Sternen navigierten, und ihre Boote waren ganz anders beschaffen als die leichtgewichtigen Einbäume, die auf dem Fluß Waren von einem Dorf ins andere transportierten.
    Wegen ihrer weißen, flügelähnlichen Segel als Raspas oder »heilige Vögel« bekannt, waren diese Langstreckenboote nicht direkt Schiffe im modernen Sinne; sie hatten keine komplizierten Aufbauten und waren klein und schwer zu steuern, aber sie waren mit einem großen Kiel ausgestattet, der sie aufrecht hielt, und mit Gaffelsegeln aus Leinen, mit Segellatten verstärkt, die es ihnen erlaubten, durch die See zu pflügen, wenn das Wetter schön war und kräftiger Wind herrschte. Bei Windstille konnten die Raspas gerudert werden – keine leichte Aufgabe, da der Ruderer dabei stehen mußte und Mühe hatte, die Balance zu halten, während die Wellen gegen den Schiffsrumpf klatschten –, und obwohl es keine Luken gab, konnten Grasmatten und ölgetränkte Häute über der Fracht festgezurrt werden, wenn das Wetter bedrohlich aussah.
    Dennoch, angesichts der Winterstürme wirkten die Raspas zerbrechlich, und es kam durchaus vor, daß sie versanken und für immer spurlos verschwunden blieben. In Lezentka pflegte mehr als ein Mutterclan Opfergaben und Blumen ins Meer zu werfen an dem Tag der Totenehrung, und es gab mehr Kinder, die von Tanten und Kusinen aufgezogen wurden, als es in einem so kleinen Dorf normal war. Die Männer und Frauen der Küste webten sogar spezielle Muster in ihre Kleidung ein, damit ihre Körper identifiziert werden konnten, falls sie ertranken, und hin und wieder konnte es vorkommen, daß ein fremdes Boot anlegte und Händler aus einem weit entfernten Ort niederknieten, den Boden küßten und einer Dorfmutter einen oder zwei Beutel mit Knochen von Angehörigen überreichten, die einst

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