Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
Stuten nur zu bestimmten Zeiten des Jahres Verlangen nach einem Hengst fühlten, und dies schien jetzt der Fall zu sein; Marrah hatte bemerkt, daß die Stuten, wenn sie nicht in Stimmung waren, davon-galoppierten und den Hengsten die kalte Schulter zeigten. Wenn der Hengst ihr dennoch folgte und sie bedrängte, legte die Stute die Ohren flach an den Kopf, wieherte durchdringend und schlug nach dem Bewerber aus, biß ihn manchmal sogar. Aber schickte die Göttin ihnen die Begierde, so wurden die Stuten regelrecht neckisch und ermutigend. Wenn die Hengste sanft wieherten und vor ihnen herumtänzelten, hoben die Stuten einladend den Schwanz und gestatteten den männlichen Tieren, sie zu beschnuppern, an ihrem Hals zu knabbern, sie zu lecken und schließlich zu besteigen. Die Pferde hatten sich kürzlich gepaart, und Stavan sagte, daß im nächsten Jahr, ungefähr um diese Zeit, wahrscheinlich mehrere von ihnen fohlen würden.
Marrah schloß die Augen und stellte sich ihr Kind und die jungen Fohlen vor. Sie dachte an Bäume und Berge, die am Horizont aufragten, aber am intensivsten dachte sie an Shara und wie schön es sein würde, wieder nach Hause zurückzukehren.
Während Marrah ihren Kopf an Stavans Schulter lehnte und von den Mutterländern träumte, führten Hiknak und Dalish eine Unterhaltung, die Marrah höchst interessant gefunden hätte. Seit Wochen hatten die beiden Frauen jeden Abend Seite an Seite in ihrer Höhle gesessen und sich gegenseitig gewärmt, und wie schon an so vielen Abenden zuvor, während sie Holzstückchen und getrockneten Pferdemist in das kleine Feuer warfen, breitete sich auch heute abend eine vertrauliche Stimmung zwischen ihnen aus.
Dalish hatte sich gerade in freundlichem Ton beschwert, daß Hiknak den Pferden nicht genug Gras gebracht hätte. Zuerst hatte Hiknak behauptet, es wäre zu kalt, um nach draußen zu gehen; aber Dalish durchschaute diese Antwort als Ausrede. Hiknak war durchaus in der Lage, durch brusthohen Schnee zu waten, um Rebhühner zu jagen, und oft weigerte sie sich störrisch, ihre Kapuze aufzusetzen, selbst wenn der Wind so bitterkalt pfiff, daß er ihr Haar mit Eis verkrustete. Eine Weile saßen die beiden da, stopften ihre Handschuhe, mahlten Eicheln zu Mehl, hielten das Feuer in Gang und sprachen von belanglosen Dingen, während Dalish darauf wartete, daß Hiknak endlich mit dem eigentlichen Grund herausrücken würde.
»Ich habe Angst, allein hinauszugehen, weil ich deutlich merke, daß der Junge etwas von mir will und mich womöglich anspringt«, gestand Hiknak schließlich.
Dalish blickte von dem Handschuh auf, den sie gerade flickte. »Dich anspringen?« Sie tat überrascht, doch in Wirklichkeit hatte sie schon seit einiger Zeit den Verdacht, daß Arang der Grund für Hiknaks plötzliche Häuslichkeit war. »Was meinst du mit ›anspringen‹?«
»Er wird mich zu Boden werfen und mich zwingen, ihm zu Willen zu sein«, erklärte Hiknak unverblümt und strich sich das Haar aus den Augen. »Deshalb habe ich in letzter Zeit nicht gejagt oder meinen Anteil an dem Gras für die Pferde gesammelt. Es ist mir nicht ganz geheuer, allein nach draußen zu gehen. Dieser Junge hat Augen wie ein kranker Wolf.«
Dalish lachte und ließ den Handschuh sinken. »Erstens ist Arang kein Junge mehr, sondern ein Mann. Der alte Zuhan hat Arang höchstpersönlich beschnitten und tätowiert, und zweitens ... wenn Zuhan noch lebte, würde er Vlahan sicherlich befohlen haben, dich Arang als ein Geschenk zur Feier seiner Volljährigkeit zu überlassen.«
Hiknak zog die Nase kraus und runzelte die Stirn.
»Aber«, fuhr Dalish fort, »wir leben jetzt nicht mehr bei den Hansi-Nomaden, Arang will nicht der Nachfolger des Großen Häuptlings sein, und niemand wird dich irgend jemandem zur Konkubine geben. Du gehörst jetzt nur dir selbst, meine liebe Hiknak, und ich versichere dir, daß Arang das weiß.«
»Ha!« schnaubte Hiknak. »Wenn Männer diesen Kranker-Wolf-Blick haben, spielt es keine Rolle mehr, was sie wissen.
Vlahan hat mich früher fast jede Nacht zum Beischlaf gezwungen, außer wenn er zu betrunken war. Dann wurde er meiner irgendwann überdrüssig, Han sei Dank. Wenn er mich nicht satt bekommen hätte, weiß ich nicht, was ich getan hätte. Wahrscheinlich hätte ich ihm eines Nachts im Schlaf mit seiner eigenen Axt den Schädel eingeschlagen.« Sie griff nach einem Stückchen Eichelschale und zerknackte sie zwischen Daumen und Zeigefinger. »Die Sache ist die:
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