Altwerden ist nichts für Feiglinge - Fuchsberger, J: Altwerden ist nichts für Feiglinge
einem Entschluss gekommen: Sollten wir Oberwiesenfeld heil erreichen, würde ich ohne Zögern in der Flugleitung meine Lizenz auf den Tisch legen. Mann, das wird nicht leicht! Ich war stolz auf meine Lizenz mit der Nummer 213, eine der ersten Lizenzen für motorgetriebene Luftfahrzeuge nach dem Krieg in Bayern.
Das Gefühl, wenn man schemenhaft den Heimatflugplatz in der Ferne auftauchen sieht, nachdem man eine Stunde, fast wie im Blindflug, in Bodennähe hoffte, keine Überland-Hochspannungsleitung zu erwischen oder sonst ein in die Höhe ragendes Hindernis, dieses Gefühl ist kaum zu beschreiben. Endlich wieder festen Boden unter den Füßen, Und dann die spürbare Erleichterung der Flugleitung: »Wir wussten
von der Schlechtwettermeldung und Sturmwarnung, wussten aber nicht, wo ihr seid. Wir haben in Reichenhall angerufen. Die haben gesagt, ihr seid sofort wieder weg!«
Ich glaube, ich habe ziemlich kleinlaut meine Lizenz auf den Tisch gelegt: »Das war’s! Heute sind wir zweimal heil davongekommen - das reicht!«
»Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, alle Probleme, denkt man, werden nichtig und klein...« - so Liedermacher und Pilot Reinhard Mey.
Und weil das so ist, war der freiwillige Verzicht auf meinen mühsam erworbenen Flugschein hart.
Wie hatte der Traum vom Fliegen begonnen? Es war im Jahr 1950, in der Münchner Dienerstraße, zwischen Feldherrnhalle und Marienplatz. Noch enger, als sie eh schon war, machte sie die alte Straßenbahn. An jeder Haltestelle stockte der Verkehr. Ich stand mit meinem Wagen in der Schlange hinter der Tram. Gelangweilt ging mein Blick nach oben, durch die sich verengenden Fassaden der teilweise zerstörten großbürgerlichen Geschäftshäuser, direkt in den weiß-blauen bayerischen Himmel. In diesem schmalen Spalt zog ein Segelflugzeug seine Kreise.
Wo der wohl herkommt, dachte ich, und wo wird der landen? Vielleicht in München-Riem?
Eine halbe Stunde später fragte ich einen Kellner im Flughafen-Restaurant, ob er von einem Segelflugzeug wüsste.
»Das ist der Ernst Jachtmann, mit seiner ›Kranich II‹, der ›Scandinavia‹, die gehört einem Pilotenverein von der PANAM. Der fliegt die PANAM-Kapitäne durch die Gegend, wenn sie hier Station machen. Wenn Sie warten, können Sie mit ihm reden, der kommt jeden Mittag hier zum Essen!«
Ein Mann, gertenschlank, stahlblaue Augen, gewaltige Hakennase, Lippen wie ein Strich, blond, wortkarg. Während er seine Suppe löffelt, erkläre ich ihm, warum ich da bin.
»Wenn Sie Lust haben, nehme ich Sie als Passagier mit, Unkostenbeitrag 7 Mark. Mit der Winde hoch, eine Runde um den Platz, dauert ungefähr fünf Minuten.«
»Wann?«
»Wenn ich mit dem Essen fertig bin.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Wollen Sie?«
»Und ob!«
Wenig später saß ich angeschnallt in der zweisitzigen »KRANICH II« und spürte den Druck, als uns die Seilwinde mit etwa 110 Stundenkilometern steil nach oben reißt.
Ausklinken, schweben, Stille. Nur der Fahrtwind rauscht durch die kreisrunde Öffnung an der Seite der Glaskabine. Höhe knappe dreihundert Meter. Kurve links, noch eine Kurve links, parallel zur Startrichtung. Vorbei am Tower, Kurve links, noch eine Kurve links, in die Landerichtung, Sinkflug, die Graslandepiste kommt näher, Klappen raus, wirkt wie eine Bremse, noch ungefähr fünfzig Meter dicht über dem Boden, sanfte Landung mit Gerumpel, immer langsamer, die »KRANICH II« legt sich auf die linke Seite, berührt das Gras, bleibt stehen. Stille! Lange Stille.
»Geht das noch mal?«
»Wenn Sie zahlen!«
An diesem Nachmittag drehten wir noch sechsmal die Runde.
»Das heißt bei mir ›Käses Rundfahrt‹«, sagte Jachtmann, sonst sagte er kaum was.
»Kann ich das bei Ihnen lernen?«
»Offiziell nein, inoffiziell ja!«
»Was muss ich tun?«
»Rauskommen, sooft Sie können, und sagen, Sie wären Dauerpassagier!«
»Und dann?«
»Wenn wir Thermik haben, bleiben wir länger oben, nach und nach bringe ich Ihnen bei, wie man den Vogel steuert! Sie dürfen’s nur keinem erzählen!«
So lernte ich bei dem Weltrekordler Ernst Jachtmann Segelfliegen, zu einer Zeit, als solche Vergnügungen laut alliierter Besatzungsgesetze noch streng verboten waren.
Mit den erworbenen Kenntnissen ging ich nach Österreich und bestand in der Segelfliegerschule Zell am See, am Fuße des Großglockners, meinen »L1«, die erste Stufe des Segelflugscheins.
Am 5. Mai 1955, Tag der Wiedergewinnung der Souveränität
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