Altwerden ist nichts für Feiglinge - Fuchsberger, J: Altwerden ist nichts für Feiglinge
melden hat.
Bei mir war es eine Sie. Ziemlich korpulent, oder besser gesagt, so breit wie hoch. Ein hübsches Gesicht, wirklich schöne Mandelaugen, dunkler Teint, rabenschwarzes Haar. Schwer zu sagen wie alt, vielleicht knappe Vierzig.
Etwa vier Meter hinter ihr, an der Wand, eine Tafel mit Buchstabenreihen. Oben ganz dick, nach unten immer kleiner werdend. Zwischen uns eine dicke, sternförmig durchlöcherte Glasscheibe, distanzierte Strenge.
»Können Sie die drei unteren Buchstabenreihen auf der Tafel da hinten lesen?«
Sie drehte sich halb zu der Tafel hinter ihr, hatte aber einige Mühe damit.
Ich griff nach meiner Brille, um keinen Fehler zu machen.
»Tragen Sie beim Fahren eine Brille?«
»Manchmal!«
»Auf dem Bild auf Ihrer Lizenz tragen Sie keine Brille! Wenn Sie bei einer Kontrolle eine Brille tragen, auf dem Lizenzbild aber nicht, wird man Ihnen die Lizenz abnehmen!«
Der Ton war absolut neutral, beteiligungslos, die angedrohte Konsequenz beängstigend.
Am Rand der trennenden Glasscheibe entdeckte ich eine Kamera.
»Könnte ich eine neue Lizenz mit Brillenfoto bekommen?«
»Kostet zehn Dollar!«
»Einverstanden.«
»Treten Sie zwei Schritte zurück, sehen Sie direkt in die Kamera und lächeln Sie nicht!«
Klick. Das Foto sah entsprechend aus.
»Lesen Sie bitte die drei unteren Zeilen!«
Die Mandeläugige nickte, schrieb etwas auf ein Papier, gab mir den Zettel: »Zahlen Sie am Schalter zwölf, kommen Sie mit der Quittung zurück, warten Sie, bis Sie namentlich aufgerufen werden!«
»Keinen Hörtest?«
»Nicht nötig, ich habe gehört, dass Sie gut hören.«
Ohne dabei aufzusehen hob sich ihr Zeigefinger in Richtung Löcher in der Trennscheibe. Auch der Reaktionstest
schien zu entfallen. Nicht ohne mich artig zu bedanken, Asiaten legen Wert auf Höflichkeit, drehte ich ab in Richtung Schalter zwölf zum Zahlen. Nach einer angemessenen Wartezeit hörte ich meinen Namen durch einen Lautsprecher, wie meistens etwas verunglimpft: »Mr. Fuschenbörg, counter 4 please!«
Dann war ich draußen, mit neuer Fahrlizenz und dem Gefühl, ab sofort zu einer Gesellschaftsgruppe zu gehören, die sich wegen fortgeschrittenen Alters besonderen Kontrollen zu unterwerfen hat.
Wenn ich ehrlich bin: Warum nicht? Wie oft erlebe ich, dass ältere Verkehrsteilnehmer den Anforderungen nur schwer oder überhaupt nicht mehr gewachsen sind. Sie bringen sich und andere in Gefahr. Meinen australischen Führerschein habe ich zurückgegeben, Pilotenschein wie berichtet auch, meinen deutschen Führerschein, Ausstellungsdatum Mai 1946, behalte ich, so lange ich ein Gaspedal und eine Bremse noch treten und ein Lenkrad noch drehen kann.
»Alt ist man«, hat mir neulich jemand gesagt, »wenn die Kerzen teurer sind als der ganze Geburtstagskuchen!«
Ein hübscher Spruch, wenn man mit Sprüchen
über das Alter überhaupt etwas anfangen kann. Viele reagieren empfindlich, halten es für anmaßend, fühlen sich gekränkt. Warum eigentlich? Wenn du kapiert hast, dass Freuden und Leiden dich im Alter genauso begleiten wie in der Jugend, nur halt anders, wird das Problem leichter.
Verzweiflung, Orientierungslosigkeit, Null-Bock-Einstellung sind bei vielen jungen Menschen oft ein größeres Problem als bei alten. Warum? Wir Alten haben den Vorteil das meiste, was das Leben an Widrigkeiten zu bieten hat, schon mal erlebt und vor allem überlebt zu haben. Déjà-vu-Erlebnisse werfen uns nicht so schnell aus der Bahn.
Als die Fuchsbergers 1982 zum ersten Mal die Füße auf australischen Boden setzten, war vom Tag der Ankunft an klar: Das war »Liebe auf den ersten Blick«.
Die Freundlichkeit der Menschen, das Klima, die Farben der Landschaft, die Schönheit der Stadt Sydney, ihre geografische Lage und der unbeschreiblich schöne Naturhafen: Port Jackson. Da passte alles zusammen. Am Kingsford-Smith-Airport warteten drei Menschen auf uns. Genauer: drei alte Menschen. Erich und Edith Glowatzki, und Nancy Bird-Walton.
Nancy Bird-Walton ist eine australische Luftfahrt-Legende:
das australische Pendant zu unserer Legende Elly Beinhorn. Beide lernten sich kennen, als Elly Beinhorn 1932 auf ihrem Flug um die Erde, in einer offenen, nur mit Stoff bespannten »Klemm 34« auf Mascot Airfield, dem damaligen Flugplatz von Sydney, landete. Zehntausende warteten auf die »Fliegende Lady« aus Deutschland, bereiteten ihr einen triumphalen Empfang.
»Das will ich auch werden!«, sagte die junge Nancy Bird, und wurde es.
Sie flog
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