Am Rande Der Schatten
ihrer Mutter hatten es ihr genommen, Hu Gibbet hatte es ihr genommen, Momma Ks Kunden hatten es ihr genommen, das bedeutungslose Ficken hatte es ihr genommen. Kylars Erregung verwandelte sich in Bedauern.
Vi griff nach einem Wäschekorb aus Bast und stopfte Kleider hinein, darunter ihre eigene Robe. Unter der letzten Robe verbarg sie einen Dolch.
»Wie sehe ich aus?«
Die Aufmachung sah tatsächlich seltsam vertraut aus. Sie hatte an jenem Tag erheblich weniger Ausschnitt gezeigt, entsprechend der Züchtigkeit des Drake’schen Haushalts, aber es waren genau dieselben Kleider, die Vi getragen hatte, als sie versucht hatte, ihn zu töten. »Verdammt noch mal«, sagte er.
Sie kicherte und drehte sich für ihn hin und her. »Macht es meinen Hintern dick?«
»Schwing du deinen dicken Arsch in die Halle.«
Sie lachte und setzte den Korb auf die Hüfte. Sie war provokativ, zauberhaft, verführerisch, und jetzt musste sie obendrein
auch noch witzig sein? Verdammt, draußen hätte er sie um ein Haar geküsst! Zweifellos hätte er jetzt ein Messer im Rücken stecken, wenn er es getan hätte, aber für eine Sekunde hatte er sogar gedacht, dass sie von ihm geküsst werden wollte. Sie tänzelte den Flur entlang, und die Blicke der Khalidori fielen auf ihren Körper. Einer murmelte einen Fluch.
»Hallo«, sagte Vi und trat vor den linken Wachposten. »Ich bin neu hier, und ich habe mich gefragt, ob …« Ihr Messer bohrte sich so tief in den Hals des Mannes, dass sie ihn beinahe enthauptete.
Kylar brach dem anderen Mann mit einer scharfen Drehung und einem fleischigen Knacken das Genick.
Vi schaute zu der Stelle, wo er war - oder nicht war, da er unsichtbar war.
»Verdammt unglaublich«, sagte sie. Sie säuberte den Dolch und legte ihn zurück in den Korb. »Schön, du kommst nach zehn Sekunden herein oder sobald du meine Stimme hörst. Wenn der Gottkönig erwacht, werde ich ihn ablenken, und du tötest ihn. Wenn er weiterschläft, erledige ich ihn.«
Langsam öffnete sie die Tür und trat lautlos hindurch.
Einen Moment später kam sie wieder heraus. Ihr Gesicht war grün. »Er ist nicht da«, sagte sie.
»Was ist los?« Kylar versuchte, an ihr vorbeizutreten, aber sie versperrte ihm den Weg.
»Du willst da nicht reingehen.«
Er drängte sich an ihr vorbei.
Der Raum war voller Frauen. Sie standen wie erstarrt da, wie Statuen in verschiedenen Posen. Eine war auf allen vieren und nackt, und sie trug eine Glasscheibe auf dem Rücken, um einen Tisch zu formen. Eine andere, eine hochgewachsene Edelfrau, die Kylar erkannte, deren Namen er jedoch nicht
wusste, stand auf Zehenspitzen und reckte sich verführerisch, einen Arm und ein Bein um einen Pfosten des massiven Himmelbetts des Gottkönigs geschlungen. Chellene Lo-Gyre saß mit gekreuzten Beinen in einem hohen Sessel. Kylar wusste nichts anderes über sie, als dass sie im Ruf stand, ein feuriges Temperament zu haben. Ihre Miene verriet dies, ebenso wie ihr zerzaustes Haar und die Anspannung in ihren hageren Muskeln. Die meisten Frauen waren nackt, und die übrigen trugen nur wenig am Leib. Zwei, die auf den Knien lagen, hielten ein Waschbecken. Zwei andere hielten einen Spiegel. Eine war an die Wand gekettet, einen Schal um den Hals. Kylar stockte der Atem.
Es war Serah Drake. Wie alle anderen war sie nicht so reglos wie eine Statue - sie war eine Statue. Mit einem kleinen Aufschrei berührte Kylar ihr Gesicht, berührte die Lippen, die er einst geküsst hatte. Sie waren so nachgiebig wie lebendes Fleisch, aber kühl, und in ihren offenen, leuchtenden Augen war kein Lebensfunke. Ihr Fleisch - das Fleisch aller Frauen - war durch Magie in der entsprechenden Pose erstarrt und so gelassen worden. Als Kunstwerk.
Unter dem Schal konnte Kylar die blauen Flecken sehen, die um Serahs Hals herumliefen. Er wandte den Blick ab. Es gab zwei Möglichkeiten zu sterben, wenn man gehängt wurde: Wenn man tief genug fiel, brach das Genick und man starb schnell, anderenfalls wurde man langsam erstickt. Serah war den qualvollen Tod gestorben.
Er trat von ihr weg, aber wo immer sein Blick hinfiel, sah er grauenvolle Einzelheiten. Die Frauen trugen Armbänder, die aufgeschlitzte Handgelenke verbargen; Hemden verdeckten durchstoßene Herzen; jene, die mehr Kleidung trugen, taten es, um die Unvollkommenheiten ihrer Taxidermie zu verbergen:
Sie waren diejenigen, die sich von ihren Balkonen gestürzt und nun Schwellungen hatten, wo keine Schwellungen hingehörten.
Kylar taumelte wie ein
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