Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
mit deinem Sport. Was ist mit deiner Familie?«
Rachel schrie: »Ach so, ich gehöre also zum Personal, und du darfst den Geschäftsführer spielen? Das ist total unfair! Ich will da überhaupt nicht arbeiten. Ich studiere schließlich an der Uni!«
»Fachhochschule«, sagte Ronald und schob sich Kuchen in den Mund.
»Mum!«
»Meine Güte, ihr beide seid schlimmer als die Kinder, wenn ihr euch zankt. Keisha, hast du Arbeit?«
Jetzt richteten sich alle Blicke wieder auf sie. »Im Moment nicht. Ich bin gerade auf der Suche nach einem Kellnerjob oder so.«
Und dann, als wäre das alles von langer Hand geplant gewesen, sagte Mrs Johnson: »Ronald, du solltest Keisha einen Job im Club geben.«
»Um Gottes willen, Ma! Ich kann doch nicht jedem einen Job geben, nur weil du seiner Mutter mal beim Einkaufen begegnet bist oder so. Wie stellst du dir das vor?«
»Missbrauche nicht den Namen des Herrn!«
»Sorry.«
»Ihre arme Mutter ist von uns gegangen. Und Rachel hat ihr Studium, und sie streitet sich mit der Kundschaft, das hast du selbst gesagt.«
»Die gehen mir auf den Sack!«
Keisha sah zwischen ihnen hin und her, zwischen Ronald, seiner Schwester und ihrer Mutter. Wenn sie in dem Club arbeiten würde, könnte sie dort überall hingehen, auch in das Büro, in dem jemand Anthony Johnson mit einer Flasche die Kehle aufgeschlitzt hatte. Aber sie waren so nette Leute. »Danke«, sagte sie. »Aber ihr habt ja bestimmt schon genug Personal. Ich geh dann mal.«
»Ronald fährt dich noch nach Hause.« Mrs Johnson war wirklich hartnäckig.
»Das geht schon, ich nehm die U-Bahn.« Sie schnappte sich ihre Jeansjacke. »Danke, vielen Dank für das Essen, danke, bis bald mal.« Mann, es war echt hart, höflich zu sein. Es war viel einfacher, wenn alle ständig stinksauer auf einen waren.
»Sehen wir dich in der Kirche?«, rief Mrs Johnson ihr noch hinterher, aber da war Keisha schon aus der Tür.
Ronald stand auf der Eingangsstufe, mit Autoschlüsseln und Sporttasche. »Ich fahre jetzt. Rachel ist noch nicht so weit.«
»Oh.« Sie verstand ihn falsch. »Na dann: Man sieht sich.«
Er wies auf sein Auto. »Komm. Ich bring dich noch zur U-Bahn.«
»Aber …«
»Schau doch mal: Es ist schon dunkel.«
Keisha stieg in seinen Kleinwagen und war total von den Socken. Gab es da also tatsächlich einen Mann, der nicht wollte, dass sie im Dunkeln zur U-Bahn-Station gehen musste. Und dabei kannte er sie kaum. Sie musste an Chris denken in jener Nacht , als er sie in ihren bescheuerten hochhackigen Schuhen den weiten Weg nach Hause hatte latschen lassen.
»Schnall dich bitte an.« Ronald hatte eine Hand hinten auf ihren Sitz gelegt und setzte gerade aus der Parklücke zurück.
»Oh, sorry.« Sie hatte schon so lange in keinem Auto mehr gesessen. Nervös plapperte sie auf ihn ein: »Du musst mich nicht bringen. Meine Mum war genauso, die hat auch immer gesagt: O ja, Keisha passt auf dein Kind auf, oder: Keisha geht mit deinem Hund Gassi. Ohne mich jemals auch nur zu fragen. Sie hat mich zur Beerdigung deines Bruders geschickt, weil sie damals krank war. Weiß ja nicht, ob du mich da gesehen hast …« Er erwiderte nichts. Inzwischen waren sie beim U-Bahnhof angelangt, und Keisha löste ihren Gurt wieder. »Okay. Äh, sag deiner Mutter noch mal danke von mir.« Sie stieg aus und sah sich auch hier schnell einmal um. Nur für alle Fälle.
Er beugte sich herüber und kurbelte das Fenster runter. »Hör mal, wenn du wirklich einen Job willst, dann komm doch nächste Woche mal vorbei. Aber ich kann dir nichts versprechen.«
»Echt?«
Er zuckte mit den Achseln. »Erst mal nur auf Probe. Rachel hat das einfach nicht drauf. Hast du schon mal in einer Bar gearbeitet?«
»Ich hab fast zehn Jahre lang Catering gemacht, in Restaurants serviert und in Event-Bars.« Was hatte sie eigentlich noch nicht gemacht? Solange die Bezahlung mies war und die Arbeitszeiten mörderisch, war Keisha immer mit dabei gewesen.
»Dann ruf uns doch mal im Club an.« Er kurbelte das Fenster wieder hoch.
»Hey, danke …«
Aber da war er schon weg.
So einfach war das also, diese Spionage-Nummer – vorausgesetzt, die eigene Mutter war mit karibischen Damen befreundet, die ihre Söhne zu allem bringen konnten, was sie wollten. Keisha war mit einem Pfund Ingwerkuchen nach Hause gegangen, in Alufolie eingewickelt und in Mercys bestickter Tasche verstaut. Bei Charlotte angelangt stellte sie ihn auf den Tisch. »Es gibt lecker Kuchen!«, rief sie, und dann
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