Amber Rain
lich. Mein Bus kommt.“ Ich schaue ihr nach, wie sie hinter dem Buchs des Labyrinths verschwindet, und plötzlich bin ich allein. Um mich herum nur Marmor und Granit und Weite. Ich taste an meinem Arm nach dem Band. Es ist nicht da. Ein Sonnenstrahl spiegelt sich auf dem Treppengeländer neben mir und wirft seinen Pfeil direkt in meine Augen. Ein Feuerblitz auf meiner Netzhaut. Feuer. Feuer. Auf meiner Haut beginnt es zu kribbeln. Mein Anker ist gelichtet. Kein Knoten, den Crispin geknüpft hat, würde sich so einfach lösen. Meine A u gen irren umher. Nach rechts, nach links. Da fällt es mir wieder ein. Ich habe es abgenommen. Celia wollte mich in einem ä r mellosen Kleid aus ihrem Fundus sehen und ich fand, dass der Anblick des Seils um meinen Oberarm sie nichts anginge. Ich habe es abgenommen und in meine Handtasche getan. Die E r kenntnis kommt zu spät. Die Hornissen auf meiner Haut h a ben schon begonnen, ihr Gift zu verspritzen. Mein Organi s mus reagiert. Mein Herz rast, mein Puls trommelt in meinen Ohren.
Weg, ich will einfach nur weg.
Atme. Ruhig, Amber. Atme mit mir. Crispins Worte in me i nem Ohr drängen die Panik zurück. Nicht weit. Nicht genug, um mich zu beruhigen, aber ausreichend, um die Ruhe zu fi n den, in meine Handtasche zu greifen. Irgendwo dort muss es sein. Meine Finger tasten, blind, fahrig. Das Atmen fällt schwer, so wahnsinnig schwer. Meine Beine wollen mich for t tragen, aber ich verbiete es ihnen, denke an das Gefühl in Cri s pins Atelier, als er mich verschnürt hatte und gebunden. Statt dem Stückchen Hanfseil finden meine Finger das Telefon. Charly. Wenn Crispin nicht bei mir sein kann, dann ist sie me i ne zweite Anlaufstelle. Blind drücke ich die Wahlwiederholung. Geh dran. Bitte, bitte, geh dran.
„Amber?“ Nach dem zweiten Klingelton ist es nicht Charly, die sich meldet, sondern Crispin. Ich habe die Nummern ve r wechselt, die falsche Taste gedrückt. Ich kann die Vernunft nicht festhalten. Die Hornissen brummen so laut in meinem Kopf, auf meiner Haut, überall. Vielleicht habe ich einen Ton von mir gegeben, denn seine Stimme klingt anders jetzt, als er weiterspricht. Ruhiger, neutral. „Wo bist du, Amber?“
„Tra… Trafalgar Square.“ Verzerrt und undeutlich klingt der Name des Platzes zwischen meinen hektischen Atemzügen. In der Leitung raschelt es. Ich versuche mir vorzustellen, wie Crispin aus dem Bett steigt. Nein. Er hatte einen Termin, de s wegen ist er nicht hier. Er ist nicht zuhause. Er ist bei … Wo ist er? Mein Herz trommelt.
„Gut. Gut gemacht, Amber. Sag mir, was du siehst. Was ist es, das dir solche Angst macht?“
Meine Augen irren umher. Ich sehe nur Schlieren. Gleiße n des Funkeln, das sich auf Marmor bricht. „Granit“, bringe ich mühsam hervor. „Marmor. Licht.“ Ich kneife die Augen z u sammen, um mich vor dem Feuer der Sonne zu schützen.
„Halt. Bleib bei mir. Amber? Amber, hörst du mich? Da ist noch mehr. Sag mir, was du siehst.“
Zaghaft öffne ich die Augen wieder. Diesmal kann ich deutl i cher erkennen, was um mich herum geschieht. „Ich stehe auf der Treppe. Ich sehe das Buchslabyrinth. Ein Bus biegt um die Ecke. Er ist rot.“
„Gut, Amber. Sind die Springbrunnen angestellt?“ Seine Fr a ge verwirrt mich. Ich sehe genauer hin. Langsam wird mein Puls ruhiger.
„Nein.“
„Siehst du etwas, das gefährlich ist? Einen Menschen, der dich bedroht? Ein Auto, das auf dich zurast? Gibt es etwas Derartiges?“
Ich sehe auf den Platz in all seiner restaurierten Schönheit, und nun nehme ich auch die morgendliche Stille wieder wahr. Resigniert schüttle ich den Kopf. „Nein.“ Nur noch ein Flü s tern.
„Das ist gut. Siehst du das, Amber? Deine Angst ist in de i nem Kopf. Du bist nicht wirklich in Gefahr. Kannst du das verstehen?“
Meine Muskeln schmerzen vom Gift der Hornissen. Ich bin so müde, dass ich mich nicht mehr auf den Füßen halten kann, und lasse mich auf die Treppenstufe gleiten, auf der ich g e standen habe. Obwohl ich weiß, dass er mich nicht sehen kann, schüttle ich einfach nur den Kopf. Nein, ich kann nicht verst e hen, was gut daran sein soll, dass meine Panik nur Einbildung ist. Dass ich verrückt bin, eine Irre. In meiner Kehle wächst ein Kloß und mein Speichel schmeckt bitter.
„Hey, Baby. Alles in Ordnung. Du brauchst dich nicht sch ä men für das, was passiert ist. Du bist krank. Wie andere einen Schnupfen haben. Niemand schämt sich für einen Schnupfen, nicht wahr?“ In der Leitung
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